Tiere, die auf dem Hof getötet wurden, hatten zwanzigmal weniger Cortisol im Blut als im Schlachthof getötete Tiere. Das zeigt eine aktuelle Studie von Spengler Neff et al. mit Rindern des Demeter Hofguts Rengoldshausen (Überlingen, DE) [1].
Vor der Schlachtung erleben Tiere verschiedene Stresssituationen. So führen die Trennung von der Herde, der Transport sowie ungewohnte Geräusche und Gerüche im Schlachthof dazu, dass der Gehalt an Cortisol im Blutserum ansteigt. Cortisol gehört wie Adrenalin und Katecholamin zu den Stresshormonen. Der Stress der Tiere vermindert die Fleischqualität. Zartheit und Wasserbindung können beeinträchtigt sein.
Im Rahmen der Studie wurden elf Rinder des Hofguts im nahegelegenen (zehn Minuten Fahrtzeit) Schlachthof geschlachtet. Im Vergleich dazu wurden zehn Rinder auf dem Hof getötet. Alle Tiere gehörten der Rasse Original Braunvieh an und sind auf dem Hof geboren und aufgewachsen. In beiden Gruppen gab es sowohl männliche als auch weibliche Tiere. Kurz vor der Betäubung wurde das Verhalten der Tiere beobachtet und anhand eines dreistufigen Scores eingeteilt (Score 1 = ruhig, Score 2 = unruhig, Score 3 = nervös). Die Konzentration von Cortisol wurde im Stichblut der getöteten Tiere im Labor gemessen. Zusätzlich wurden die Gehalte an Glucose und Lactat mit einem Schnelltest während des Entblutens erfasst. Diese beiden Werte geben neben Cortisol einen zusätzlichen Hinweis auf Stress. Sie werden in Folge einer erhöhten Cortisolausschüttung vermehrt produziert und stellen Energie für die Flucht bereit.
Alle drei Parameter – Cortisol, Glucose und Lactat – waren bei den Tieren, die im Schlachthof geschlachtet wurden, signifikant höher als bei den auf dem Hof getöteten Tieren: Der Gehalt an Cortisol war im Durchschnitt um das Zwanzigfache höher. Dieser unerwartet grosse Unterschied wurde bislang in keiner Studie gemessen. Die Gehalte an Glucose und Lactat waren um ein Viertel bzw. um das Doppelte höher. Auch das beobachtete Verhalten vor der Betäubung zeigte Unterschiede: Während im Schlachthof alle Tiere entweder unruhig oder nervös (Score 2 und 3) waren, verhielten sich auf dem Hof die Hälfte der Tiere ruhig (Score 1), drei Tiere unruhig (Score 2) und nur ein Tier nervös (Score 3). Bei einem Tier wurde das Verhalten nicht erfasst. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern war nur gering und auch das Schlachtalter hatte keinen Einfluss auf das Verhalten.
In dieser Studie zeigten alle Parameter, aber insbesondere der grosse Unterschied beim Cortisol, dass die Hoftötung deutlich weniger Stress für die Tiere bedeutet. Einen Einfluss der Tageszeit auf den Cortisolspiegel, der im Tagesverlauf natürlicherweise schwankt, kann durch die fast immer zur selben Uhrzeit stattgefundenen Betäubungen ausgeschlossen werden.
In der biodynamischen Landwirtschaft trägt das Tier wesentlich zum vielfältigen Hoforganismus bei und gibt mit seinem Mist wertvollen Dünger, der für die Fruchtbarkeit der Böden essentiell ist. Das Tier wird so artgerecht wie möglich gehalten und mit Würde und Respekt behandelt. Mit einer Hof- oder Weidetötung können Landwirt:innen diese respektvolle Haltung bis zum Tod des Tieres bewahren.
Die Art und Weise, wie ein Tier gehalten und getötet wird, wirkt sich auf die Qualität des Fleisches aus: Stress vor der Schlachtung mindert sie. Das zeigt sich an einem schnelleren pH-Abfall, einem langsameren Temperaturrückgang und einem insgesamt weniger saftigen Fleisch [2]. Es wird zäh und der Einfluss des Stress ist so für Verbraucher:innen wahrnehmbar. Noch wenig erforscht ist, wie sich Stresshormone, die man durch das Fleisch zu sich nimmt, auf den menschlichen Organismus auswirken. Der durchschnittliche Verzehr von Fleisch in Europa lag 2020 bei ca. 65kg pro Kopf [3]. Dieses stammt in der Regel von Schlachthöfen. Im Vergleich dazu werden weltweit nur ca. 35kg Fleisch pro Jahr verzehrt.
Das Tierwohl ist ein wichtiges Kriterium beim Kauf von Fleisch. Dabei ist der Tötungsvorgang ein wesentlicher Punkt. Regionale Schlachthöfe gibt es immer weniger, so dass Transportwege immer länger werden. Das steigert den Stress für die Tiere. Seit Juli 2020 sind Hof- und Weidetötungen in der Schweiz unter gewissen Voraussetzungen erlaubt. Rund 100 Schweizer Betriebe haben die Zulassung dafür erhalten. Das Interesse daran wächst. In der EU sind Hof- und Weidetötungen seit März 2021 erlaubt – unter gewissen Voraussetzungen.
Literaturverzeichnis
[1] Spengler Neff A, Probst J K, Knösel M. 2023: «Hoftötung oder Tötung im Schlachthof: Unterschiede bei stressanzeigenden Parametern»
Agrarforschung Schweiz 14:90–95. doi.org/10.34776/afs14-90
[2] Reiche A-M, Oberson J-L, Silacci P, Messadène-Chelali J, Hess H-D, Dohme-Meier F, Dufey P-A & Terlouw, E M C. 2019: "Pre-slaughter stress and horn status influence physiology and meat quality of young bulls."
Meat science 158. doi.org/10.1016/j.meatsci.2019.107892
[3] FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations). 2021:
"Meat" www.fao.org/3/cb5332en/Meat.pdf abgerufen am 20.06.2023
[4] Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. 2023: «Fleischverzehr 2022 auf Tiefstand»
www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/Pressemitteilungen/2023/230403_Fleisch.pdf;jsessionid=64173262EB4836B265C305452625AF8F.internet971 abgerufen am 18.06.2023