Was ist die Aufgabe der biodynamischen Wirtschaftsweise heute in Bezug auf die Preisstrategie? Bei dieser Frage stehen sich scheinbar zwei Gegensätze gegenüber: Auf der einen Seite die Preistransparenz: Es ist wichtig, einen echten, ehrlichen Preis zu verlangen und dafür einzustehen. Auf der anderen Seite der Wunsch, alles dafür tun, dass das, was die Demeter-Landwirt:innen leisten, auch möglichst honoriert wird, z.B. über CO²-Zertifikate.
Sekem plant, CO²-Zertifikate für alle Kleinbauern und -bäuerinnen in Ägypten in Umlauf zu bringen. Bei den in Ägypten aktuell vorliegenden Umständen kann das Teilnehmen an der Zertifikatsbildung bis zu einem Drittel des bisherigen Jahresumsatzes der Bauern und Bäuerinnen bedeuten. Damit können Demeter-Produkte genau so günstig angeboten werden wie konventionelle. Das bringt nicht nur mehr finanzielle Stabilität der Betriebe mit sich, sondern kann auch einen erheblichen Schub für den gesamten Klimaschutz darstellen.
In der EU sieht das Bild anders aus; man kann den Eindruck gewinnen, dass die Düngemittel- und Pestizidindustrie den Kampf überwiegend noch gewinnt, zumal solche Zertifikate auf längere Sicht nicht möglich sind. Dazu müsste man erst die Zählung der CO²-Kontingente auf den einzelnen Höfen ermöglichen, statt sie pauschal in die deutsche CO²-Bilanz zu integrieren. Im letzten Jahr sind die Umsätze im Biobereich um ca. 20% gesunken. Dies vor allem wegen der erhöhten Preissensibilität der Kund:innen, man könnte aber auch sagen wegen der externalisierten Kosten des konventionellen Anbaus. Nitrate im Grundwasser etc. werden heute noch nicht den Verursachern zugeordnet, sondern von allen getragen. Somit gibt es keine fairen Preise und es trifft gerade die Branche, die als Rückgrat für den Klimaschutz gelten kann. Die Kombination der erheblichen Umsatzrückgänge und steigenden Kosten hat bereits zur Schließung von vielen kleineren Fachläden im Biobereich geführt; sie setzen der ganzen Branche zu.
Wer kommt bisher einigermaßen gestärkt durch diese Krise?
Das sind Betriebe wie ODIN (Betrieb mit 32 Bio-Supermärkten aus den Niederlanden, Gründung 1983), denen es schon vor Jahren gelungen ist, die Kund:innen in den Betrieb einzubinden, indem sie z.B. durch Mitgliedermodelle (monatlicher Beitrag gegen vergünstigte Mitgliederpreise) die Finanzierung des Betriebs mittragen. Damit erhöht sich die Verbundenheit der Kund:innen mit dem Laden erheblich; durch den regelmässigen Mittelzufluss kann ein Teil der Liquidität zur Vorfinanzierung der landwirtschaftlichen Produktion verwendet werden. ODIN zählt zurzeit 15‘000 Mitglieder.
NaturaSi in Italien konnte in diesen schwierigen Zeiten die Teil-Vorfinanzierung von Ernten nicht mehr aus der eigenen Liquidität stemmen. Um trotzdem den Landwirt:innen diese Möglichkeit bieten zu können, haben sie ihre Kund:innen um Hilfe gebeten. Dank den Kleindarlehen der Kund:innen, die im Gegenzug eine Scheckkarte mit einem Einkaufsguthaben bekamen, konnten sie die Liquidität sicherstellen.
Immer wieder kommt dabei die Frage auf, ob es stimmig ist, durch solche und andere Modelle günstigere Preise anzubieten. Büßen wir dann nicht zu stark an Transparenz ein, wenn z.B. bestimmte Produkte zu Discountpreisen angeboten werden, um sogenannte preissensitive Kund:innen anzulocken?
Grundtenor des Wirtschaftskreises: Wir können in dieser Phase der Transformation nicht zu dogmatisch sein, sondern müssen möglichst versuchen für alle Kund:innengruppen gute Angebote zu machen und dabei dennoch transparente Preise zu schaffen.
Am stärksten war diese Umbruchsstimmung in den Niederlanden wahrzunehmen, wo gerade einer der größten landwirtschaftlichen Betriebe mit 6.000 ha auf Bio-Landwirtschaft umgestellt hat. Die Regierung hat deutliche Signale ausgesendet, dass es nicht mehr so weitergehen kann wie bis anhin. Das hat auch etliche Proteste hervorgerufen, doch im Lande ist zu spüren, dass der sogenannte Tipping Point nahe ist: Viele Landwirt:innen haben die Umstellungspläne auf bio oder biodynamisch bereits in der Schublade.
Weiterhin bleibt die Kommunikation eine Herausforderung: Wie können wir Kund:innen davon überzeugen, dass pestizid- und düngemittelfreie Lebensmittel auf lange Sicht mehr als ausreichen – die Ernährungssicherheit also gewährleistet ist –, sie schönere, diversere Landschaften fördern und unseren CO²-Fußabdruck dadurch erheblich verringert wird?
Das Ziel ist eine tiefgreifende Transformation, wodurch biologische und biodynamische Lebensmittel nicht mehr bloß Nischenprodukte sind für einen kleinen Markt, sondern für alle erschwinglich. Wie können wir zusätzliches Geld generieren, um diese Transformation zu unterstützen und die Not der Landwirtschaft bzw. der Landwirt:innen zu lindern? Wichtig dabei ist, die individuelle Situation in jedem Land zu betrachten – es müssen dem jeweiligen Land angepasste Lösungen und Methoden gefunden werden. Dafür braucht es verschiedene Instrumente: Zertifikate, verschiedene Preise für unterschiedliche Kund:innengruppen, starke Verbindung zu den Kund:innen, politische Instrumente und Messsysteme wie bspw. der Leistungsrechner der Regionalwert Leistungen GmbH, der länderspezifische Eigenheiten miteinbezieht.