Pestizide werden in der konventionellen Landwirtschaft zur Bekämpfung von Schädlingen, Unkräutern und Krankheitserregern eingesetzt, um Ertragseinbußen sowie Verluste nach der Ernte und bei der Lagerung zu reduzieren. Weltweit steigt der Einsatz von Pestiziden kontinuierlich an. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wurden im Jahr 2022 weltweit etwa 3,70 Millionen Tonnen Pestizide in der Landwirtschaft verwendet. Dies entspricht einem Anstieg von 4 % gegenüber 2021 [1]. Gleichzeitig gibt es weltweit mehr übergewichtige und adipöse Menschen als je zuvor. Nach aktuellen Prognosen werden bis zum Jahr 2030 ca. 38 % der Weltbevölkerung übergewichtig und weitere 20 % fettleibig sein. Damit einher geht auch die Zunahme zahlreicher Begleiterkrankungen wie Typ 2 Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, verschiedene Krebsarten und Unfruchtbarkeit.
Bisher galten vor allem genetische und lebensstilbedingte Faktoren als Hauptursachen für die Gewichtszunahme. Zunehmend wird jedoch auch auf den Einfluss von Umweltfaktoren wie Pestizide verwiesen. Die chemisch-synthetischen Moleküle greifen in den menschlichen Stoffwechsel ein und ahmen Hormone nach, was beispielsweise zu Fehlregulationen der Schilddrüse und Fruchtbarkeitsstörungen führen kann. Diese Effekte wirken sich aufgrund der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Stoffwechselregulation bei Männern und Frauen verschieden aus. Zudem konnte gezeigt werden, dass Pestizide die Aktivität der Fettzellen verändern und Einfluss auf die Regulation von Hunger und Sättigung nehmen. Pestizide oder deren Abkömmlinge werden über die Luft, das Trinkwasser und vor allem über Nahrungsmittel aufgenommen. Es gibt bereits Studien, die bei Landwirt:innen eine Veränderung des Körpergewichts in Verbindung mit der berufsbedingten chronischen Pestizidbelastung festgestellt haben [2]. Wie sich jedoch eine solche Pestizidbelastung auf das Körpergewicht in der Allgemeinbevölkerung auswirkt, ist bislang wenig erforscht. Berlivet et al. (2024) untersuchten daher im Rahmen der NutriNet-Santé Studie die Rolle der ernährungsbedingten Pestizidbelastung bei der Veränderung des Körpergewichts mit Fokus auf mögliche geschlechterspezifische Unterschiede [3].
Studiendesign
Die Ernährungsdaten stammten aus Frankreich aus der groß angelegten prospektiven Kohortenstudie NutriNet-Santé zum Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit. Die Proband:innen füllten im Jahr 2014 einen validierten Fragebogen zur Häufigkeit des Verzehrs ökologischer und konventioneller Lebensmittel aus. Auf dieser Grundlage berechneten die Forschenden die Menge der verzehrten pflanzlichen Lebensmittel und die daraus resultierende Pestizidbelastung.
Die Daten zur Kontamination der pflanzlichen Lebensmittel stammten vom europäischen Referenzlabor für Pestizide (Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUAS)). Die Datenbank umfasst über 6,7 Millionen Kombinationen von Lebensmitteln und Pestiziden, darunter auch Bio-Produkte. Insgesamt wurden 25 Pestizide ausgewählt, die in Europa häufig vorkommen, drei davon sind im ökologischen Landbau zugelassen (Azadirachtin, Pyrethrin und Spinosad), siehe Tabelle 1. Die Profile der ernährungsbedingten Pestizidbelastung wurden auf Basis der individuellen Essgewohnheiten abgeleitet. Hierzu nutzten die Forschenden eine spezielle mathematische Methode namens nicht-negative Matrixfaktorisierung (NMF). Diese dient dazu, komplexe Datensätze zu strukturieren und vereinfacht darzustellen. Insgesamt wurden vier Hauptkomponenten (NMF-Profile) identifiziert, die jeweils Cluster von gemeinsam auftretenden Pestiziden in der Ernährung der Teilnehmenden darstellen:
NMF1: Exposition mit synthetischen Pestiziden: starke Korrelationen mit Chlorpyrifos, Imazalil, Malathion, Profenofos und Thiabendazol.
NMF2: Exposition mit synthetischen Pestiziden: starke Korrelationen mit Azoxystrobin, Boscalid, Cyprodinil, Chlorpropham, Difenoconazol, Fenhexamid, Iprodion, Tebuconazol und Lambda-Cyhalothrin.
NMF3: Exposition mit natürlich vorkommenden Wirkstoffen: starke Korrelationen mit Spinosad und Azadirachtin.
NMF4: Exposition mit synthetischen Pestiziden: starke Korrelationen mit Acetamiprid, Carbendazim, Cypermethrin und Dimethoat/Methoat.
Substanz | NMF1 | NMF2 | NMF3 | NMF4 |
Acetamiprid | 0.31 | 0.37 | 0.28 | 0.85 |
Anthraquinone | 0.15 | 0.14 | -0.06 | 0.19 |
Azadirachtin | -0.10 | -0.02 | 0.52 | 0.02 |
Azoxystrobin | 0.58 | 0.66 | -0.17 | 0.14 |
Boscalid | 0.48 | 0.85 | -0.09 | 0.17 |
Carbendazim | 0.27 | 0.31 | 0.33 | 0.86 |
Chlorpropham | 0.33 | 0.53 | -0.32 | 0.03 |
Chlorpyrifos | 0.69 | 0.36 | 0.14 | 0.59 |
Cypermethrin | 0.27 | 0.22 | 0.38 | 0.91 |
Cyprodinil | 0.47 | 0.85 | -0.09 | 0.16 |
Difenoconazole | 0.49 | 0.63 | 0.04 | 0.46 |
Dimethoate - Omethoate | 0.33 | 0.38 | 0.29 | 0.77 |
Fenhexamid | 0.44 | 0.75 | -0.09 | 0.10 |
Glyphosate | 0.35 | 0.42 | -0.12 | 0.14 |
Imazalil | 0.98 | 0.31 | -0.10 | 0.15 |
Imidacloprid | 0.50 | 0.12 | 0.17 | 0.53 |
Iprodione | 0.49 | 0.86 | -0.06 | 0.15 |
Malathion | 0.70 | 0.44 | -0.09 | 0.16 |
Methamidophos | 0.28 | 0.29 | -0.21 | 0.15 |
Profenofos | 0.93 | 0.31 | -0.12 | 0.19 |
Pyrethrins | 0.03 | -0.01 | 0.18 | 0.02 |
Spinosad | -0.10 | -0.08 | 0.98 | 0.37 |
Tebuconazole | 0.53 | 0.78 | -0.08 | 0.19 |
Thiabendazole | 0.97 | 0.30 | -0.11 | 0.17 |
Lambda-cyhalothrin | 0.52 | 0.77 | -0.04 | 0.25 |
Tabelle 1: Vorkommen einzelner Wirkstoffe von Pestiziden in den NMF-Clustern (Korrelationen bei 32.062 Datensätzen)
Zur Erhebung der Körpergewichtsdaten beantworteten die Teilnehmenden halbjährlich von 2014 bis 2021 einen anthropometrischen Fragebogen. Darüber hinaus wurden soziodemografische Merkmale und Lebensstilfaktoren erfasst. Ausgeschlossen wurden Personen, die zum Beispiel nur eine einzelne Gewichtsmessung in der Nachbeobachtung hatten, eine Diät machten oder während der Studie schwanger wurden. Insgesamt konnten so die Daten von 32.062 Teilnehmenden ausgewertet werden. Davon waren 74 % Frauen mit einem durchschnittlichen Alter von 52,9 Jahren. Die Männer waren im Mittel 58,5 Jahre alt.
Ergebnisse
Zu Beginn der Studie lag der durchschnittliche Body-Mass-Index bei 23,9 kg/m² unabhängig vom Geschlecht, was einem normalen Gewicht entspricht. Im Verlauf der Beobachtungszeit nahmen postmenopausale Frauen sowie Männer leicht ab (ca. -0,03kg/Jahr resp. ca. -0,05 kg/Jahr), während prämenopausale Frauen an Gewicht zunahmen (ca. +0,32 kg/Jahr). Die Ergebnisse der Männer sowie prämenopausalen Frauen waren signifikant.
Für NMF2 (Exposition mit synthetischen Pestiziden s. Tabelle 1) ergab sich bei Männern ein signifikanter negativer Zusammenhang mit dem Körpergewicht: Je höher die Exposition und damit der Konsum an konventionellen Lebensmitteln, desto größer der durchschnittliche Gewichtsverlust von ca. 0,05 kg/Jahr.
Bei Frauen gab es keinen signifikanten Effekt in der Gesamtgruppe. Zudem zeigte sich, dass eine höhere Exposition gegenüber natürlichen Wirkstoffen (NMF3) – was auf einen höheren Verbrauch an Bio-Lebenmitteln schließen lässt – mit einer geringeren Gewichtszunahme verbunden war. Insbesondere prämenopausale Frauen nahmen durchschnittlich im Jahr ca. 0,04 kg weniger zu als Frauen, die weniger exponiert waren, was allerdings nicht signifikant war. Auch bei Männern konnte kein signifikanter Zusammenhang festgestellt werden.
Bei einer erhöhten Exposition gegenüber synthetischen Pestiziden aus NMF1 und NMF4 zeigte sich bei beiden Geschlechtern kein signifikanter Zusammenhang mit der Gewichtsentwicklung über die Zeit.
Diese Ergebnisse blieben auch nach Adjustierung fehlender Daten – etwa zu Obst- und Gemüseverzehr, Fett- und Ballaststoffaufnahme – stabil.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Während der Beobachtungszeit haben Männer signifikant und Frauen nach der Menopause tendenziell an Gewicht verloren, während Frauen vor der Menopause im Durchschnitt signifikant zugenommen haben. Frauen, die stärker NMF3 ausgesetzt waren – ein Zeichen für weniger Kontakt mit synthetischen Pestiziden und höheren Konsum an Bio-Lebensmitteln – nahmen weniger an Gewicht zu, besonders die prämenopausalen Frauen. Bei Männern wurde ein größerer Gewichtsverlust beobachtet, wenn sie einer höheren Belastung durch synthetische Pestizide (NMF2) ausgesetzt waren. Bei Frauen hingegen hatte NMF2 in der Gesamtgruppe keinen messbaren Einfluss auf das Gewicht. Für die NMF1 und NMF4 wurde kein Zusammenhang mit dem Körpergewicht gefunden.
Diskussion
Es dürfte unbestritten sein, dass Pestizide gesundheitsschädlich sind – sowohl für die Umwelt als auch für die menschliche Gesundheit. Obwohl Lebensmittel nur bei Einhaltung der Pestizidgrenzwerte vermarktet werden dürfen, veranschaulicht diese Studie, dass es auch bei geringer Konzentration durchaus gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen gibt, vor allem über einen längeren Zeitraum hinweg. Verschiedene Auswertungen des Datenmaterials der NutriNet Studie haben dies bereits belegt [4]. In der vorliegenden Auswertung sind die Gewichtsveränderungen auffällig, die allerdings nicht einheitlich und nur teilweise signifikant waren. Die Forschenden führen den Unterschied auf das höhere Alter der Männer und auf den unterschiedlichen hormonellen Status der Frauen zurück. Besonders hormonell empfindliche Gruppen wie prämenopausale Frauen scheinen stärker auf Pestizidrückstände zu reagieren. Obwohl die Gewichtsveränderungen pro Jahr jeweils gering waren und es zudem viele Faktoren gibt, die das Gewicht beeinflussen können, kann man insgesamt von einer Tendenz sprechen, denn sie zeigt sich bei einer großen Kohorte (über 32.000 Studienteilnehmende) und hat deshalb eine gewisse Relevanz. Da die Gewichtsveränderung zudem jährlich zu beobachten war, summiert sich der Effekt und ergibt mit der Zeit dennoch eine nennenswerte Ab- bzw. Zunahme. Es wäre interessant, in weiteren Studien den Einfluss von Pestiziden auf das Körpergewicht zu untersuchen, um die Entstehung von Übergewicht und Adipositas besser verstehen zu können.
Was deutlich wird, sind nicht nur die kurzfristigen, sondern die langfristig negativen Wirkungen von Pestizidrückständen in Lebensmitteln, die im Zeitraum von sieben Jahren zu beobachten waren. Diese scheinen sogar die eigentlich gesundheitsfördernden Effekte von Lebensmitteln wie Gemüse zu überlagern. Gemüse ist ein zentraler Bestandteil einer gesunden Ernährung – doch wie die Studie zeigt, führt der Verzehr von Gemüse mit Pestizidrückständen, auch wenn sie innerhalb der Grenzwerte liegen, zu einer Stoffwechsel- und somit zu einer Gewichtsveränderung.
Biologisch und biodynamisch erzeugte Lebensmittel sind nicht generell komplett pestizidfrei – es dürfen zum Beispiel Kupferverbindungen, Schwefel oder der in der Studie berücksichtigte Wirkstoff Spinosad verwendet werden –, jedoch ist der Einsatz stark limitiert und streng geregelt. In der Biodynamik verfolgt man den Grundsatz: Landwirtschaft ist ohne Pestizide möglich. Dafür braucht es ein umfassendes Management zum Beispiel bei der Bodenbearbeitung, der Wahl der Pflanzensorten, der Düngung und Fruchtfolge. Werden all diese Aspekte und auch weitere wie die lokalen Anbau-, Wetter- und Klimabedingungen mitberücksichtigt, kann die Pestizidverwendung deutlich reduziert oder sogar weggelassen werden. Dann entstehen Lebensmittel, die ihre gesundheitsförderliche Wirkung wirklich entfalten können und so zur Gesundheit der Menschen und der Erde beitragen.
Literaturverzeichnis
[1] FAO (2024): «Pesticides use and trade – 1990–2022» FAOSTAT Analytical Briefs, 89.13
doi.org/10.4060/cd1486endoi.org/10.4060/cd1486en
[2] Araújo RAL., Cremonese C, Santos R, Piccoli C, Carvalho G, Freire C, Canut R (2021): «Association of occupational exposure to pesticides with overweight and abdominal obesity in family farmers in southern Brazil» International Journal of Environmental Health Research, 32(12), 2798–2809. doi.org/10.1080/09603123.2021.1991284
[3] Berlivet J, Payrastre L, Rebouillat P, Fougerat A, Touvier M, Hercberg S, Lairon D, Pointereau P, Guillou H, Vidal R, Baudry J, Kesse-Guyot E (2024): «Association between dietary pesticide exposure profiles and body weight change in French adults: Results from the NutriNet-Santé» Environment International, 184(108485), 0160-4120.doi.org/10.1016/j.envint.2024.108485
[4] Baudry J, Assmann KE, Touvier M, et al. Association of frequency of organic food consumption with cancer risk: findings from the NutriNet-Santé prospective cohort study. JAMA Intern Med. 2