+41 61 706 42 12
landwirtschaft@goetheanum.ch

Volltextsuche

 
DE EN FR ES
  • News
  • Veranstaltungen
      • Aktuelle Veranstaltungen
      • Online Angebote
      • Landwirtschaftliche Tagungen
      •  
      • Vergangene Veranstaltungen
      •  
      • Veranstaltungen unserer Kooperationspartner
  • Arbeitsfelder
    • Fach- und Berufsgruppen, Arbeitsschwerpunkte und Projekte
      • Fachbereich Ernährung
      • Beratung
      • Ausbildung
      • Forschung
      • Wirtschaftskreis
      • Präparate
      • Living Farms
      • Saatgut
      • Tierhaltung
      • Landwirtschaftlicher Kurs
      • Landwirtschaft trifft Medizin
      • Jahresthema
      • Fachgrupppen
      • Weinbau
      • Obstbau
      • Kräuter & Heilpflanzen
      • Landschaftsgestaltung
      • Bienen
      • Olivenanbau
  • Publikationen
    • Publikationen: Bücher, Tagungsdokumentationen, Rundbriefe, Tätigkeitsberichte und weitere Infos zur biodynamischen Landwirtschaft.
      • Bücher
      • Tagungsdokumentationen
      • Tätigkeitsberichte
      • Rundbriefe
      • Weitere Infos
      • Biodynamische Landwirtschaft
  • Über uns
    • Alles über die Sektion für Landwirtschaft, das Team, über die Zusammenarbeiten in der Welt, Empfehlungen usw.
      • Kontakt
      • Das Team
      • Vision und Leitbild
      • Partnerschaften / Netzwerk
      • Weiteres
      • Jahresthema
      • Tätigkeitsberichte
      • Presse / Medienmitteilungen
      • Das Glashaus
      • Newsletter
      • Spenden
  1. Sektion für Landwirtschaft
  2. Arbeitsfelder
  3. Landwirtschaftlicher Kurs

Geleitwort zur neunten Auflage des «Landwirtschaftlichen Kurses» 2021

Erstellt von Ueli Hurter | 07.07.2021 |   Landwirtschaftlicher Kurs

Das im Jahr 2024 anstehende 100-Jahr-Jubiläum des «Landwirtschaftlichen Kurses» war Anlass, in der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum die Initiative für eine Neuherausgabe zu ergreifen. Der Herausgeber, die Rudolf Steiner Nachlassverwaltung, hat Hand geboten, und so ist in gemeinsamer Arbeit diese vollständig überarbeitete neunte Auflage erstellt worden. Das Ziel war, eine Edition mit möglichst sauberer Quellenlage zur Verfügung zu stellen. Dazu wurden die bisherige Editionsgeschichte sorgfältig aufgearbeitet, die vorhandenen Stenogramme neu übertragen, aktuelle Funde aus den Archiven eingefügt, der Aufbau des Bandes neu geordnet und der Anmerkungsteil erneuert und erweitert.
Bald 100 Jahre nach dem «Landwirtschaftlichen Kurs» darf gesagt werden, dass von diesen Tagen, vom 7. bis 16. Juni 1924 in Koberwitz mit ca. 130 Teilnehmern, eine kraftvolle Wirkung ausgegangen ist. Auch heute befindet sich die daraus hervorgegangene biodynamische Bewegung in einer erfreulichen Entwicklung. Hält man den Band 327 der Gesamtausgabe in Händen, kommt die Frage auf: Wie ist das möglich? Denn der Textkorpus aus acht Vorträgen, vier Fragenbeantwortungen und begleitenden Texten zeigt sich äusserlich bescheiden im Verhältnis zu seiner anhaltenden Wirkung. Das eine ist der Inhalt, das andere ist der Duktus, in dem Rudolf Steiner spricht. Dieser ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass weite Gesichtspunkte aus der anthroposophischen Geisteswissenschaft und praktische Erörterungen für die Arbeit in Feld und Stall sich aufs Intimste durchweben. Er charakterisiert diesen Duktus in der Jugendansprache vom 17. Juni folgendermassen:
«Deshalb habe ich in diesem Kursus versucht, ich möchte sagen, aus dem tatsächlichen Erleben heraus die Worte zu finden. Es kann heute nicht anders der Geist gefunden werden, als wenn man auch wiederum die Möglichkeit findet, in naturgegebene Worte ihn zu kleiden; damit werden auch die Empfindungen wieder stark werden.»

Rudolf Steiner hat nicht über die Köpfe hinweg doziert, sondern in die Herzen und Hände der Landwirte gesprochen. Das kann auch heute noch ein Erlebnis im Umgang mit dem «Landwirtschaftlichen Kurs» sein. In der biodynamischen Bewegung ist dafür der Ausdruck «Koberwitzer Impuls» aufgekommen. Ein Impuls geht tiefer als ein Lehrkurs, der Wille ist angesprochen. Entsprechend kann man aus der historischen Distanz von fast 100 Jahren sagen: Der «Landwirtschaftliche Kurs» stellt einen Kulturimpuls auf dem Gebiet der Landwirtschaft aus der Anthroposophie dar.
In diesem Geleitwort soll als Erstes an wenigen Beispielen auf den Inhalt des ersten Teiles des vorliegenden Bandes eingegangen werden. Als Zweites soll anhand der Gründung des Versuchsringes, der mit Teil zwei dieser Neuausgabe als wesentlich zum «Landwirtschaftlichen Kurs» dazugehörig bewertet wird, auf das besondere Verhältnis von Forschung und Praxis, wie es dort zutage tritt, eingegangen werden. Als Drittes soll versucht werden, eine kurze Wirkensgeschichte des «Landwirtschaftlichen Kurses» zu skizzieren.

Die Stoffe als Geistträger, Stickstoff und Kiesel

Der «Landwirtschaftliche Kurs» beinhaltet eine einzigartige Stoffeskunde. Schon im ersten Vortrag werden Kiesel und Kalk in ihrer Polarität eingeführt. Sie sind die stofflichen Repräsentanten der oberen und unteren Kräfte, zwischen denen sich das landwirtschaftliche Leben abspielt. Der dritte Vortrag handelt dann im Wesentlichen von den Stoffen, die das Eiweiss als Lebenssubstanz bilden. Rudolf Steiner geht detailliert auf Stickstoff, Schwefel, Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff ein und schildert ihr Zusammenwirken. Damit ist Rudolf Steiner ganz bei seinen Zuhörern, die als gebildete Landwirte über das agrochemische Wissen ihrer Zeit verfügten. Nun schildert er diese Stoffe aber wie Persönlichkeiten, von denen jede im Naturhaushalt ihre Aufgabe hat, und beschreibt, wie sie zusammen wirtschaften. So wird zum Beispiel der Stickstoff als der Schlepper des Lebens (Sauerstoff) zu den Gestaltungen im Organischen (Kohlenstoff) charakterisiert. Dabei wirkt der Stickstoff aus einer feinen Empfindsamkeit für alle Nuancen des Lebensgeschehens in dem landwirtschaftlichen Organismus. Er wird als gescheiter, empfindsamer Kerl geschildert, der weiss, wo welche Kräfte wirken im Lebensgeschehen des Hofes. Der Landwirt kann dem Stickstoff nahekommen, von ihm lernen, sich seinem Beziehungswissen öffnen, indem er innerlich erlebend, meditativ sich mit seinem Hof verbindet.

In der Art, wie im dritten Vortrag die Stoffe als Geistträger geschildert werden, erscheinen der Kalk als der Begierdenkerl, der alles an sich reissen will, und der Kiesel als der vornehme Herr, der gar nichts für sich selber will. Die kristalline Kieselsubstanz in den Mineralien und Gesteinen ist dabei nicht einmal das Entscheidende, sondern: Das Kieselige ist in feiner homöopathischer Verteilung allgegenwärtig in der Natur. Und es ist auch in dieser Form ganz anspruchslos. Rudolf Steiner nimmt als Vergleich unsere Sinnesorgane, die nicht sich selber wahrnehmen, sondern selbstlos der Welt gegenüber offen sind. «Das Kieselige ist der allgemeine äussere Sinn im Irdischen.» Aus dieser mehr betrachtenden Charakterisierung des Kiesels geht es am Ende des vierten Vortrages dann in die praktische Tätigkeit mit dem Kieselpräparat. Im Anschluss an das Hornmistpräparat sagt Rudolf Steiner in extrem knapper Art, wie man das Kieselpräparat herstellt und anwendet. Zur Wirkung heisst es lediglich: «wie der Kuhhornmist von unten heraufstösst, das andere von oben zieht, weder zu schwach, noch zu stark zieht».

Es ist erstaunlich, welch zentralen Platz Rudolf Steiner dem Kiesel zuweist. Weder vor ihm noch nach ihm wurde der Kiesel in der Agronomie überhaupt als relevant angesehen. Der Kiesel, das heisst das Silicium, ist aber anderswo sehr wichtig geworden in den letzten Jahrzehnten, nämlich in der Halbleiterindustrie. Die Computertechnik und allgemein die künstliche Intelligenz beruhen neben der Elektrizität stofflich zu grossen Teilen auf dem Rohstoff Silicium. Insofern die Intelligenz einen physischen Träger braucht, ist das Silicium dafür sehr geeignet. Rudolf Steiner fand diese Tatsache in seiner geistigen Naturforschung. Der Kiesel ist keine Lebenssubstanz, sondern eine Bewusstseinssubstanz. Das, was man als äusseres Bewusstsein oder als kosmische Intelligenz im Makrokosmos ansprechen kann, insbesondere was von den obersonnigen Planeten ausgeht, wird vom Kiesel gespiegelt und wirkt so gestaltend auf das Leben, auch wenn es nicht direkt an den biologisch-physiologischen Vorgängen teilnimmt. An diesem Beispiel kann deutlich werden, was durchgehend gilt in der Biodynamik: Die Stoffe und die Substanzen sind wichtig gerade aus geistiger Sicht, denn die geistigen oder kosmischen Kräfte können im Irdischen nur wirken durch die Stoffe. Diese sind Träger von Lebenskräften, Empfindungskräften und Bewusstseinskräften.

Zu den Präparaten

Die Präparate können als das Herzstück der Biodynamik bezeichnet werden. Sogar schon ihr Platz ist in der Mitte des «Landwirtschaftlichen Kurses», im vierten und fünften Vortrag. Sie basieren auf der weiten und tiefen Naturkunde der ersten Vorträge, in denen unter dem Aspekt «Was ist kosmisch, was ist irdisch?» ein landwirtschaftlicher Blick in die Natur gelehrt wird. Gleichzeitig sind sie ganz praktische Landwirtschaft, sie sind direkt für den gärtnerisch und landwirtschaftlich tätigen Menschen zugänglich. Das Verständnis folgt eher dem Tun, als dass es ihm vorausgeht. Eine Art theoretischen Zugang zu den Präparaten hat Rudolf Steiner bewusst nicht geliefert, er drückt es so aus: «…um daraus dann die wirklich praktischen Schlüsse zu ziehen, die in der unmittelbaren Anwendung eben verwirklicht werden sollen und nur in dieser unmittelbaren Anwendung ihre Bedeutung haben.»

Man kann handwerklich, künstlerisch, wissenschaftlich, meditativ mit den Präparaten leben. Die handwerkliche Herstellung der Präparate ist kein Geheimnis, sondern das Wissen wird aktiv durch Kurse weitergegeben. Ohne dass man sie herstellt, gibt es die Präparate nicht, sie kommen in der Natur nicht vor. Es sind Kulturschöpfungen. Durch das Tun mit den eigenen Händen ist man unmittelbar mit-schöpferisch tätig.
In der Anwendung kann ein künstlerisches Element zum Tragen kommen, wenn man gleichsam mit musikalischem Feingefühl den Anwendungszeitpunkt setzt, sei es im Verhältnis zur Entwicklung der Pflanzen, zum Gang der Jahreszeiten oder zu den Sternenkonstellationen. Wissenschaftlich kann man mit einfachen oder komplexeren Vergleichsversuchen Wirksamkeiten der Präparate finden. Der innere Umgang mit den Präparaten kann ein Weg sein von dem Blick der irdischen Dinglichkeit zu einer Ahnung der Fähigkeiten, die durch sie in dem ganzen Lebensgeschehen des Hofes erweckt werden.

Obwohl sie in ihrer unmittelbaren Anwendung ihre Bedeutung haben, muss die Bedeutung der Präparate nicht auf den landwirtschaftlichen Nutzen beschränkt bleiben. Wird mit den Präparaten über Jahre an einem Ort gearbeitet, kann es zur Erfahrung werden, dass der Hof oder Garten sich mehr und mehr einschwingt in die grossen Verhältnisse der ganzen Erde. In diese Erfahrung hinein kann man die Frage stellen, was die Präparate für eine Bedeutung für die Entwicklung der ganzen Erdennatur haben. Sind sie nicht auch förderlich wirksam für die Erde als Lebewesen in ihrer Evolution? Auf diese Frage kann man Elemente einer Antwort in dem Michaelbrief «Was ist die Erde in Wirklichkeit im Makrokosmos?» von Rudolf Steiner finden (in: Rudolf Steiner: Anthroposophische Leitsätze, GA 26). Ein Text, den er einige Monate nach dem «Landwirtschaftlichen Kurs» schriftlich verfasst hat. Dort wird geschildert, wie der anfänglich ganz lebendige Makrokosmos allmählich erstorben sei, damit der Mensch zum klaren Denken und zum Selbstbewusstsein kommen könne. Die Erde sei nun, wie der Same, Endprodukt dieser Entwicklung. Gleichzeitig sei sie aber auch Same für die Zukunft. Sie habe als Zukunftssame schon angefangen zu keimen. Rudolf Steiner schildert, dass ein Überschuss an Keimkräften von dem Pflanzenreich in eine zukünftige Gestaltung des Kosmos ausströme. Diese von den Pflanzen stammenden Keimkräfte würden von Überschusskräften aus dem Tierreich geformt und von entsprechenden Überschusskräften aus dem Mineralreich richtig platziert werden. So ist ein neuer Makrokosmos im Entstehen. Der Mensch kann nicht allein mit seinem Denken, aber mit seinem Willen daran teilhaftig sein. Diese Beschreibung darf als grosse Erden-Zukunft-Imagination in Zusammenhang mit den Präparaten des «Landwirtschaftlichen Kurses» gesehen werden.

Denken und Düngen, zur Frage der Ernährung

Die Frage nach der Ernährung durchzieht den ganzen «Landwirtschaftlichen Kurs». Für Rudolf Steiner ist klar: Landwirtschaft wird betrieben, um Nahrungsmittel zu produzieren. Als Produzent ist der Landwirt verantwortlich für die Qualität der Produkte, die er erzeugt. Die Artikulierung der Sorge, dass eine Degeneration der Produktequalität im Gange ist, gehört zu den Gründen, wieso es zum «Landwirtschaftlichen Kurs» kam. Ernährungsphysiologie im klassischen Sinne ist aber nicht Gegenstand des «Landwirtschaftlichen Kurses». Der Gesichtspunkt, unter dem die Ernährungsfrage implizit durch alle Vorträge durchtönt, ist ein weiter gefasster: Wie müssen die Lebens- und Reifeprozesse auf dem Hof geführt werden, damit die daraus hervorgehenden Nahrungsmittel dem Menschen, der sie isst, die Grundlage geben für sein leiblich-seelisches Leben?
Der Kunstdünger wird abgelehnt, weil «die mineralischen Dungarten gerade diejenigen sind, die zu […] diesem schlechter werden der landwirtschaftlichen Produkte das Wesentliche beitragen.» Entsprechend wird von Rudolf Steiner im «Landwirtschaftlichen Kurs» eine andere Düngungsart entwickelt. Der vierte Vortrag gipfelt nach einer umfassenden Besprechung der Kompostierung in der Einführung des Hornmist- und des Kieselpräparates. Diese neue Art der Düngung wird mit der Qualität der daraus hervorgehenden Nahrung begründet. «Das Wichtigste ist, wenn die Dinge an den Menschen herankommen, dass sie seinem Dasein am allergedeihlichsten sind. Sie können ja irgendwelche Frucht ziehen, die glänzend aussieht, auf dem Felde oder im Obstgarten, aber sie ist vielleicht für den Menschen nur magenfüllend, nicht eigentlich sein inneres Dasein organisch befördernd. […] Es wird sogar überall bei der Betrachtung von dem Menschen ausgegangen, der Mensch wird zur Grundlage gemacht.»

Den letzten Satz kann man auch unter dem Gesichtspunkt lesen, der nicht direkt auf die Ernährung zielt, sondern der den Menschen als Grundlage setzt für die Betrachtung und Einrichtung einer biodynamischen Landwirtschaft. Tatsächlich wird die Landwirtschaft als Individualität mit einer Ichanlage besprochen, mit Begriffen also, die nicht aus den Naturwissenschaften, sondern aus den Kulturwissenschaften kommen. Im achten Vortrag wird der Verdauungsprozess so geschildert, dass er die aufgenommene Nahrung im Magen substanziell insbesondere in das Gehirn hineinbildet. «Die Hirnmasse ist einfach zu Ende geführte Darmmasse.» Rudolf Steiner ist sich sehr bewusst, dass das grotesk klingt, es ist für ihn aber schlicht eine Tatsache. Nun wird gerade heute durch die aktuelle Forschung dieser Sachverhalt bestätigt. Das Biom in unserem Verdauungstrakt wirkt stark prägend und konstituierend auf die Gehirn- und Nervensubstanz. Entsprechend sind dann die neurophysiologischen Funktionen als Grundlagen für unser Denken, Fühlen und Wollen geprägt.

Das Gehirn, so Rudolf Steiner, ist Sitz des Ichs. Man kann auch sagen: des Selbstbewusstseins. Dieses ist beim Menschen ganz ausgebildet. Dies ist möglich, weil im Menschenhirn die stoffliche Grundlage dafür gegeben ist, weil entsprechend alles aus der Nahrungssubstanz herausgezogen wird. Nun wird damit das Tier verglichen. Auch das Tier frisst, verdaut und hat ein Gehirn. Aber es hat kein Selbstbewusstsein, zumindest nicht in dem Masse wie der Mensch. Das Potenzial seines Ichs, seine Ichanlage, bleibt in der Verdauungssubstanz und diese wird zum Dünger. Der Dünger als Ichanlage kommt zur Pflanzenwurzel, dem Kopfpol der Pflanze. Da im geschlossenen landwirtschaftlichen Organismus das Futter vom eigenen Betrieb kommt und der Dünger wieder im eigenen Betrieb verwendet wird, kommt es zu einer jährlich sich wiederholenden Selbstbegegnung und der Betrieb wacht auf zu seinem Ich und kann als Individualität angesprochen werden. Er ist wie ein äusserer, die ganze Natur mit einschliessender Mensch. Insofern «wird der Mensch zur Grundlage gemacht». Die in einem solchen Zusammenhang erzeugte Nahrung ist nun diejenige, die dem modernen Menschen angemessen ist.

Aus heutiger Sicht können wir sagen, dass es Rudolf Steiner nicht im Entferntesten um eine Art Gesundheitslehre gegangen ist. Aber aus der Konstatierung, dass einerseits die naturgegebenen Lebenskräfte der Erde am Schwinden sind und andererseits der moderne Mensch sich immer weiter individualisiert, ergibt sich die Einsicht, dass «aus dem Geiste heraus Kräfte geholt werden müssen, die heute ganz unbekannt sind, und die nicht nur die Bedeutung haben, dass etwa die Landwirtschaft ein bisschen verbessert wird, sondern die die Bedeutung haben, dass überhaupt das Leben der Menschen – der Mensch muss ja von dem leben was die Erde trägt –, eben weitergehen könne auf Erden auch im physischen Sinne.»

Geistesforschung und Praxis

Dass aus dem «Landwirtschaftlichen Kurs» ein kräftiger Impuls geworden ist, hängt stark an der unmittelbar in Koberwitz vorgenommenen Begründung des Landwirtschaftlichen Versuchsringes anthroposophischer Landwirte. Die Gründung war schwierig, denn es gab Streit. Die jetzt als Teil zwei dieser Ausgabe veröffentlichten Dokumente geben Aufschluss darüber. Ernst Stegemann, der mehr einen inneren, esoterischen Zugang pflegte, und Graf  Carl von Keyserlingk, der mehr einer wirtschaftlichen Rationalität verpflichtet war, konnten sich nicht verstehen. Einer dritten Gruppe von jüngeren Menschen (die Brüder Hellmuth und Erhard Bartsch, Almar von Wistinghausen, Franz Dreidax und Immanuel Vögele) ging es vor allem darum, praktische Angaben für den Arbeitsalltag zu bekommen. Trotz dieser Verschiedenheiten ist man zur Gründung des gemeinsamen Versuchsringes geschritten. Damit wurde dreierlei erreicht. Erstens war man formal geeint und dadurch als Organisation und aufkeimende Bewegung handlungsfähig. Zweitens konnte unmittelbar anschliessend an den «Landwirtschaftlichen Kurs» die praktische Arbeit gestartet werden. Drittens war mit dem Versuchsring ein eigenständiger Partner zu der Hochschule am Goetheanum gegeben.

Um diese Partnerschaft geht es in der Ansprache vom 11. Juni nach der Begründung des Versuchsringes. Graf Keyserlingk als Sprecher der Landwirte möchte, dass die «dummen Bauern» nur ausführen, was sie von den «wissenden Sektionsleitern» der Hochschule in Dornach gesagt bekommen. Damit ist Rudolf Steiner gar nicht einverstanden: «Also wir werden von Anfang an aktive, aktivste Mitarbeiter brauchen, nicht bloss Ausführungsorgane.» Rudolf Steiner referiert dann, wie er eine Hochachtung dem bäuerlichen Wissen gegenüber hat, denn dieses dringt tief ein in die ganz konkreten kosmisch-irdischen Verhältnisse, die an dem Ort herrschen, wo der Bauer tätig ist. Dagegen ist die Wissenschaft schnell in der Gefahr, ein abstraktes und totes Wissen zu generieren. Die Betonung dieser Art von Praxiswissen und Praxisforschung für ein fruchtbares Wirken auf der Grundlage von «Geisteswissenschaftlichen Angaben zum Gedeihen der Landwirtschaft» gehört genuin zur biodynamischen Landwirtschaft dazu. Es geht nicht um eine Theorie, die nur angewendet zu werden braucht. Sondern erst der Vollzug in der Praxis, und das heisst in der existenziellen Situation im Jahreslauf und auch in den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen vor Ort, lässt einen schrittweise verstehen, was im «Landwirtschaftlichen Kurs» gesagt ist. Rudolf Steiner geht sogar so weit, sich Bauernwissen für Dornach zu wünschen. «Wir müssen sozusagen schon zusammenwachsen, und in Dornach muss soviel Bäuerliches walten als nur trotz der Wissenschaftlichkeit walten kann. Und das, was von Dornach als Wissenschaft ausgeht, muss so sein, dass es einleuchtet dem konservativsten Bauernkopf.» Wenn man die Haltung, die hier explizit zum Ausdruck kommt, aus der historischen Situation löst, dann kann man erkennen, wie hochmodern sie ist. Denn die Frage, wie der Wissenschaftler und der Praktiker in der Landwirtschaft zusammenarbeiten, ist aktuell. Oft ist es ein Spannungsverhältnis. Neues Wissen, zum Beispiel über ökologische Zusammenhänge, kommt nicht in die Praxis, die Bauern wollen sich nicht belehren lassen und machen weiter wie bisher. Das, was die Praktiker wissen aus ihrer Tätigkeit, gilt bei den Wissenschaftlern nicht als «richtiges» Wissen. Es wird nicht anerkannt und bleibt Einzelerfahrung. Für die Herausforderungen, die im Land- und Ernährungssektor anstehen, ist aber gerade eine gegenseitige Anerkennung und Förderung von Praxis und Wissenschaft unabdinglich. Es kann als eine Herausforderung für die biodynamische Bewegung angesehen werden, diese bei ihr veranlagte Kombination von Praxis und Forschung systematischer zu entwickeln.
Die Wirkensgeschichte des «Landwirtschaftlichen Kurses» und ein Blick in die Zukunft

Der Versuchsring hat gleich nach dem Koberwitzer Kurs seine Arbeit aufgenommen, und so ist schnell ein Verbund von Menschen und Höfen entstanden, die praktisch, beratend und auch durch einfache Vergleichsversuche mit den Angaben aus dem «Landwirtschaftlichen Kurs» umgegangen sind. Es bestand ein reger Austausch mit der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum, deren Leiter Guenther Wachsmuth den von Kurt Walther mitstenografierten «Landwirtschaftlichen Kurs» noch 1924 als gedrucktes Buch zur Verfügung stellen konnte. Unter den leitenden Köpfen der Bewegung entstand der Name «biologisch-dynamisch» als ein Kompromiss oder eine Kombination von zwei Ansichten, die mehr das «Biologische» oder mehr das «Dynamische» hervorheben wollten.

Schon 1928 wurde dann die Schutzmarke Demeter registriert als Kennzeichnung der Produkte von den biodynamischen Höfen für die städtische Kundschaft. In den 1930er-Jahren wurde Erhard Bartsch, der den Hof Marienhöhe in Bad Sarow östlich von Berlin bewirtschaftete, zur prägenden Figur. Ab der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hat er zusammen mit Mitstreitern im Bemühen, den jungen biodynamischen Impuls am Leben zu erhalten, auch eine Zusammenarbeit mit den Machthabern gesucht – 1941 wurden schliesslich doch alle biodynamischen Organisationen verboten.

Auch in anderen Ländern sind früh erste Höfe und Güter von einzelnen Pionieren auf die biodynamische Wirtschaftsweise umgestellt worden. Zu nennen sind die Betriebe von Loverendale in Holland (1926), in der Schweiz der Oswaldhof (1930) und in Österreich der Wurzerhof (1926). In weiteren Ländern wie in Norwegen, England und den USA ist in den 1930er-Jahren eine biodynamische Pionierbewegung ausgehend von charismatischen Beratern entstanden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Arbeit neu aufgebaut werden. Das Rückgrat wurden jetzt die bäuerlichen Familienbetriebe. In den 1970er-Jahren entstand in vielen Ländern Europas eine Generation von Betrieben, die von jungen, idealistischen Städtern begründet wurden. Sie kamen nicht vom Land, sondern aus der Stadt; die gute landwirtschaftliche Praxis musste da oft erst durch viele Fehler erlernt werden. Dafür waren auf diesen Höfen die sozialen Fesseln der traditionellen Landwirtschaft nicht wirksam, und es entstanden in den Hofgemeinschaften und um die Höfe herum vielfältige neue soziale Formen. In einer dritten Welle, die heute im Gange ist, sind es vor allem hoch spezialisierte Betriebe – vorwiegend Weinbau-, Obstbau- und Gemüsebaubetriebe – die biodynamische Massnahmen in ihre Praxis integrieren. Die starke Entwicklung beim Weinbau ist qualitätsgetrieben, denn bei der obligaten Degustation schneiden die biodynamischen Weine oft sehr gut ab. Ähnlich ist es beim aufkommenden Kaffee- und Teeanbau. Bei anderen Spezialkulturen wie Gemüse, Früchte und aktuell insbesondere Bananen ist es die Marktnachfrage für Demeter-Produkte, die ein treibender Faktor für die Umstellung ist. Daneben existieren aber auch viele Tausend Kleinstbetriebe, insbesondere in Indien, die in Gemeinschaftsprojekten zur Biodynamik angeleitet werden und dadurch eine bessere Lebensqualität für die ganze Familie erreichen. Zu erwähnen ist noch der biodynamische Baumwollanbau in Ägypten, Indien und Tansania, wo es gelungen ist, komplexe Wertschöpfungsketten vom Saatgut über den Anbau bis zur fertigen Kleiderkonfektion ins Leben zu rufen. Die biodynamische Bewegung ist heute ganz international, in allen Kulturräumen und in allen Klimazonen gibt es biodynamische Aktivitäten. Jeder Typ von Betrieb, ob gross oder klein, ob arm oder reich, ob gemischt oder spezialisiert, ob zertifiziert oder nicht, ist willkommen und trägt zum Reichtum der weltweiten Bewegung bei. Etwas allgemein formuliert kann man sagen, dass der biodynamische Impuls universell ist, mit der Eigenart, dass sein zentrales Prinzip die Individualisierung des Betriebes ist.

Die Bewegung, die aus dem «Landwirtschaftlichen Kurs» entstanden ist, blieb aber nicht auf die landwirtschaftlichen Betriebe beschränkt, es sind vielfältige wissenschaftliche, rechtliche und wirtschaftliche Initiativen entstanden. Das Forschungsinstitut am Goetheanum unter der Leitung von Guenther Wachsmuth und Ehrenfried Pfeiffer darf als erstes Forschungsinstitut für Biolandbau bezeichnet werden. Auch in anderen Ländern wurden intensive Forschungsaktivitäten aufgebaut. In den 1970er-Jahren wurden die ersten Dissertationen mit biodynamischen Themen geschrieben. Als Beispiel für die vielen Versuche sei der DOK-Versuch genannt. Er ist ein Langzeitversuch in der Schweiz, wo die drei agronomischen Systeme Dynamisch, Organisch und Konventionell miteinander verglichen werden. Nach nunmehr 40 Versuchsjahren ist deutlich, dass Biodynamisch in den Nachhaltigkeitsparametern und in der Klimabilanz vorne liegt.

Auf rechtlichem Gebiet wurden neue Formen des Eigentums an Grund und Boden entwickelt und eingeführt, ein Bereich, in dem intensiv mit den sozialwissenschaftlich engagierten Kreisen aus der Anthroposophie zusammengearbeitet wird. Auch bei der Entwicklung des Marktes für Bioprodukte, der stark aus Demeter-Kreisen vorangetrieben wurde und wird, war die assoziative Wirtschaft, wie sie Rudolf Steiner dargestellt hat, die inspirierende Idee. Immerhin liegt heute in einigen Ländern der Bioanteil am Lebensmittelmarkt bei etwa zehn Prozent. Auch die CSA-Bewegung (community supported agriculture), in der eine direkte Solidarlandwirtschaft für den Hof von den Kunden gebildet wird, hat ihre Wurzeln in der Bewegung, die vom «Landwirtschaftlichen Kurs» in Koberwitz ausgegangen ist. Dies gilt auch für die breite Ökobewegung, die durch das 1962 von Rachel Carson in den USA veröffentlichte Buch «Silent Spring» einen kräftigen Schub erhalten hat, wofür sie wesentliche Anregungen durch den «Landwirtschaftlichen Kurs» über ihre Freundin Marjorie Spock, eine biodynamische Gärtnerin und Eurythmistin, bekommen hat. In dem breiten Fächer an Wirkensgebieten, die zum biodynamischen Impuls gehören, finden sich auch eine eigenständige Pflanzenzüchtung, ein tiermedizinischer Ansatz, viele Formen von inklusiver sozialpädagogischer Arbeit, politische Lobbyarbeit, vielfältigste Ausbildungsinitiativen und eine weltweite Netzwerkarbeit. Diese reichhaltige Bewegung ist wie eine Bestätigung für die Bemerkung Rudolf Steiners im «Landwirtschaftlichen Kurs», «wie die Interessen der Landwirtschaft nach allen Seiten hin mit dem grössten Umkreise des menschlichen Lebens verwachsen sind und wie eigentlich es kaum ein Gebiet des Lebens gibt, das nicht zur Landwirtschaft gehört. Von irgendeiner Seite, aus irgendeiner Ecke gehören alle Interessen des menschlichen Lebens in die Landwirtschaft hinein.»

Eindrücklich spricht Rudolf Steiner in der im Anhang des vorliegenden Bandes in gekürzter Form abgedruckten Jugendansprache am Morgen des 17. Juni 1924, nach Abschluss des «Landwirtschaftlichen Kurses», der kommenden Generation in die Herzen. Er bejaht voll ihre Sehnsucht, mit tiefer Empfindung in die Natur untertauchen zu wollen. Er sagt aber auch, dass die Erde ein beherztes Engagement von tätigen Menschen braucht. Er spricht imaginativ vom Michaelschwert, das unter der Erde zu suchen und zu finden sei. «Haben Sie das starke und zugleich bescheidene Selbstvertrauen als junge Menschen, ihre Erdenaufgabe zu ergreifen, für ihre eigene Biografie, aber auch für das Leben der Erde.»
Seit bald 100 Jahren sind schon einige junge Generationen auf diese erste gefolgt. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die heutige die letzte Jugendgeneration sein soll, die sich vom «Landwirtschaftlichen Kurs» für ein Lebensengagement im tiefsten Herzen inspirieren lässt. Es können der heutigen noch viele weitere folgen; die Kraft des «Landwirtschaftlichen Kurses» ist noch keineswegs erschöpft, sie fordert und ermöglicht immer wieder einen neuen Zugang. Weitere Generationen von jungen Menschen in allen Erdteilen werden sich durch diese Quelle anregen lassen und mithelfen, eine Landwirtschaft der Zukunft zu entwickeln.

Wandtafelzeichnung zum Vortrag vom 10. Juni 1924, Landwirtschaftlicher Kurs, GA 327, Rudolf Steiner Archiv, Dornach, Schweiz.
Zurück

Sektion für Landwirtschaft

Goetheanum
Hügelweg 59
4143 Dornach/Schweiz

fon +41 61 706 42 12
fax +41 61 706 42 15

landwirtschaftnoSpam@goetheanum.ch

  • Kontakt
  • Über uns
  • Spenden
     
  • Goetheanum Hauptseite

© Copyright 2023 Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft. Alle Rechte vorbehalten.

Datenschutz Impressum

Impressum

Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft

Rüttiweg 45
4143 Dornach/Schweiz
Tel. +41 61 706 42 42
Fax +41 61 706 43 14
sekretariatnoSpam@goetheanum.ch
UID: CHE-103.601.774

Webmaster
webmasternoSpam@goetheanum.ch

Konzeption, Design und technische Umsetzung sowie Betreuung und Hosting
PIXELPETER GmbH
Rüttiweg 56
4143 Dornach/Schweiz
www.pixelpeter.ch