Zusammenfassung
Ein landwirtschaftlicher Organismus beinhaltet mehr als nur pflanzliche und tierische Erzeugnisse. Der biodynamische Ansatz versucht zu verstehen, auf welche Weise einzelne Teilsysteme wie Boden, Pflanzen, Kompost, Tiere und die umliegende Landschaft ineinanderwirken. Zudem gilt es, Ressourcen in einer Kreislaufwirtschaft unter Minimierung von importierten Futtermitteln oder Dünger zirkulieren zu lassen. Diese holistische Perspektive geht davon aus, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. In der Forschung sowohl zu konventioneller als auch zu biodynamischer Landwirtschaft wird diese Sichtweise oftmals zugunsten reduktionistischer Ansätze übersehen.
Im Rahmen der Studie wird das Entwickeln einer guten Beobachtungsgabe von vielen Landwirt:innen hervorgehoben. «Das Wissen der Landwirt:innen steckt in ihren Stiefeln», ist eine der Aussagen. Das bedeutet, dass man durch die Felder gehen muss, um zu verstehen, wie man sie am besten kultivieren kann – manchmal auch, ohne konkrete Arbeiten zu verrichten, sondern nur zur Beobachtung. Dabei kann es vorkommen, dass man Umwege in Kauf nimmt, um ein besseres Gespür zu entwickeln für den Gang der Jahreszeiten und die Abläufe in der Natur rund um den Hof. Durch solche Beobachtungen, die mehr sind als das blosse Sammeln von Informationen, können ein besseres Verständnis und eine engere Beziehung zwischen der Landwirt:in und dem Bauernhof aufgebaut werden.
Biodynamische Landwirt:innen verstehen sich dabei meist selbst als Teil des landwirtschaftlichen Organismus. Sie sind verbunden mit diesem komplexen Gebilde, das von gegenseitiger Kooperation lebt. Anstatt die saisonale Fruchtfolge am Bürotisch zu erstellen und sie auf die Felder zu übertragen, findet vielmehr ein komplexes Wechselspiel statt zwischen den Landwirt:innen, ihren persönlichen Erfahrungen, dem Zustand der Felder und dem Wissen über vergangene Fruchtfolgen, den Bodeneigenschaften sowie weiteren Faktoren. Die Fruchtfolge entsteht als dynamischer, kooperativer Prozess und ist für jeden Bauernhof individuell. Sie wird dem Hof nicht auferlegt, sondern ergibt sich vielmehr aus dessen bisherigem Werdegang.
Fazit
Eine geschärfte Beobachtungsgabe führt zu einer kontinuierlichen Interaktion mit dem Hof und kann dabei helfen, ein prozessorientiertes Denken zu stärken und die erkannten Lebensprozesse zu steuern. Dem Konzept von Ursache und Wirkung, welches oftmals auf ein Endprodukt fokussiert ist, wird somit ein Verständnis von Abläufen und deren enger Vernetzung untereinander entgegengestellt. Dabei wird sowohl auf die individuelle Pflanze als auch auf den landwirtschaftlichen Organismus als Ganzes Rücksicht genommen. Dieses vernetzte, prozessorientierte Denken kann man nicht vom Traktor aus gewinnen. Vielmehr wird es – ähnlich wie die Pflanzen und Tiere auf dem Hof – durch jahrelange, enge Auseinandersetzung mit den vorhandenen Gegebenheiten kultiviert.
Angaben zur Originalstudie
Autorin: Gerber, Sofi
Titel: Grasping the Whole – Biodynamic Hermeneutical Knowledge
Journal: bisher unveröffentlicht
Die Studie von Sofi Gerber wurde im Rahmen der Biodynamic Research Conference 2021 (BDRC 2021) vorgestellt. Das komplette Tagungsband mit sämtlichen Abstracts zur BDRC 2021 wurde auf der Forschungswebsite der Sektion für Landwirtschaft veröffentlicht.