Unser Blutzuckerspiegel ist fein reguliert und wird in engen Grenzen stabil gehalten. Ein langfristig hoher Zuckerkonsum führt häufig zu Übergewicht und Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II. Weil Zucker als ungesund gilt, werden bis heute künstliche Süßstoffe wie zum Beispiel Aspartam oder Saccharin oder Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit oder Xylit zum Süßen eingesetzt. Diese sind im Vergleich zu herkömmlichem Zucker kalorienfrei bzw. -arm und besitzen zugleich eine mindestens 2- bis 400mal stärkere Süßkraft als Zucker. Sie sollen bei der Gewichtsreduktion helfen und zur Stabilisierung des Blutzuckerspiegels beitragen. Ob jedoch Süßstoffe tatsächlich gesünder sind, wird durch neuere Studien immer mehr in Frage gestellt. So wurde zum Beispiel ein erhöhtes Depressionsrisiko mit zunehmendem Konsum von Fertigprodukten, die Süßstoffe enthalten, festgestellt [1]. Weiterhin wies eine erste groß angelegte Humanstudie nach, dass Zuckerersatzstoffe entgegen den Erwartungen durchaus den Blutzuckerspiegel beeinflussen und auch die Zusammensetzung der Darmbakterienflora verändern [2].
Die randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie erfolgte im Jahr 2022 am israelischen Weizmann-Institut mit 120 Proband:innen. Jeweils 20 gesunde Proband:innen nahmen über zwei Wochen je einen der vier Süßstoffe Saccharin, Sucralose, Aspartam bzw. Stevia in geringer Dosierung[1] zu sich. Zudem bekamen je eine Gruppe Glucose bzw. ein Placebo-Präparat. Das Bewegungs- und Ernährungsverhalten wurde dokumentiert und verschiedene metabolische sowie mikrobielle Parameter gemessen. Die regelmäßig durchgeführten Glukosetoleranztests[2] dienten der Ermittlung, ob sich Süßstoffe auf den Blutzuckerspiegel auswirken. Der Effekt der Süßstoffe auf die Zusammensetzung und Funktion des Darmmikrobioms wurde unter anderem mit Hilfe von Stuhlproben analysiert.
Es zeigte sich, dass die Einnahme von Saccharin und Sucralose die Blutzuckerkonzentrationen signifikant erhöhte. Die dafür verantwortlichen biochemischen Vorgänge sind allerdings noch unklar. Die Blutzuckerregulierung, also die Fähigkeit, den Blutzuckerspiegel auch bei Aufnahme von Glukose in der physiologischen Grenze zu halten, war demnach unter Einfluss dieser Süßstoffe reduziert. Aspartam und Stevia zeigten hingegen nur geringe Effekte.
Signifikante Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien sowie in der Konzentration bestimmter Stoffwechselprodukte konnten bei allen Süßstoffen festgestellt werden, die Auswirkungen waren jedoch nicht einheitlich. Die Auswertungen der Stuhlproben zeigten zum Beispiel, dass Metabolite des Citratzyklus (TCA-Metabolite) während der Sucralose-Supplementierung erhöht waren. Der Citratzyklus ist ein Stoffwechselweg, der Energie bereitstellt und sowohl beim Abbau von Kohlenhydraten als auch von Fetten und Proteinen eine Rolle spielt. Erhöhte Konzentrationen dieser TCA-Metabolite stehen in Verbindung mit einer gestörten Blutzuckerregulierung. In den Kontrollgruppen, die Glucose bzw. ein Placebo erhielten, zeigten sich keine Veränderungen in der Darmmikrobiota und der Blutzuckerspiegel wurde stets konstant gehalten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Süßstoffe einen deutlichen Einfluss auf den Stoffwechsel und auf die Darmbakterien haben können. Somit sind Süßstoffe nicht nur süß. Suez et al. vermuten, dass das Darmmikrobiom ein sogenanntes „Reaktionszentrum“ darstellt: Die Darmbakterien reagieren auf Süßstoffe, verändern sich und beeinflussen so die Glukosetoleranz des Menschen durch eine veränderte Produktion an Signalstoffen. In weiteren Studien konnten ähnliche Effekte gezeigt werden [3]. Allerdings hatten diese Studien entweder deutlich weniger Proband:innen oder eine kürzere Dauer bzw. eine sehr hohe Süßstoffdosierung.
„Süß“ ist der Geschmack, den bereits Säuglinge als angenehm empfinden. Viele Lebensmittel sind von Natur aus süß, andere werden durch Zusätze gesüßt. Neben Zucker gibt es natürliche Süßungsmittel wie Sirupe aus Datteln, Agaven, Ahorn oder Zuckerrüben, die häufig zum Backen oder zum Süßen von Speisen wie zum Beispiel im Müsli verwendet werden. Synthetische Süßstoffe werden insbesondere in Softdrinks oder Süßigkeiten verwendet.
Unter „Zucker“ wird meist Haushaltszucker, Saccharose, verstanden. Dieser besteht aus den Monosacchariden Glukose und Fruktose. Essen wir Lebensmittel, die Zucker enthalten, werden bereits im Speichel Enzyme aktiviert und die Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse beginnt. Der Traubenzucker (Glukose) gelangt ins Blut und steht dem Körper als schnell verfügbare Energie zu Verfügung. Insbesondere unser Gehirn verbraucht am Tag bis zu 75% der aufgenommenen Glukose. Man kann sagen, dass das Gehirn darauf angewiesen ist, Glukose zu bekommen und sich damit bedienen lässt. Außerdem braucht die Ich-Organisation Zucker, um im Körper anwesend zu sein, dazu dient der Blutzuckerspiegel. Die Ich-Organisation ist überall da dominant, wo der süße Geschmack bewusst wird. Nehmen wir Süßstoffe zu uns, suggerieren sie auch „süß“ und lösen eine Insulinfreisetzung aus [3]. Aber es kommt kein Zucker im Verdauungssystem an – unser Organismus wird getäuscht.
Menschen, die im Rahmen einer Reduktionsdiät Zucker mit Süßstoffen ersetzen, nehmen häufig nach einer kurzfristigen Gewichtsabnahme wieder an Gewicht zu. Ein möglicher Grund könnte diese Täuschung sein: Der Organismus ist auf der Suche nach Energie, die ihm jedoch nur vorgegaukelt wird. Dies könnte unbewusst dazu führen, dass mehr gegessen wird. Zudem findet eine Süßprägung statt: je mehr wir süß schmecken, umso mehr gewöhnen wir uns daran und verlangen immer süßere Speisen. Die unterschiedlichen Wirkungen verschiedener Süßstoffe weisen darauf hin, dass unser Körper mit diesen künstlichen Stoffen nicht adäquat umgehen kann.
Weltweit steigt der Konsum an Süßungsmitteln. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch wird im Jahr 2023 schätzungsweise 8,5 kg betragen [4]. Dabei sind auch Zuckeraustauschstoffe wie Xylit oder Erythrit miteingeschlossen. Diese kalorienärmeren Süßungsmittel werden häufig als natürliche Süßungsmittel beworben und auch in Biolebensmitteln verwendet. Allerdings sind auch sie isolierte Stoffe und wirken in höheren Mengen abführend.
Zucker gehört zu unserer Ernährung, deshalb ist die Frage, welchen Zucker wir essen und wie viel. Unser Organismus ist in der Lage, Zucker zum Beispiel aus Vollkornprodukten zu gewinnen. Dabei ist der Stoffwechsel aktiv und es treten weniger starke Schwankungen des Blutzuckerspielgels auf. Kauen wir ein Stück Brot über längere Zeit, schmecken wir süß. Es ist echte Süße, die keinen künstlichen Beigeschmack hat wie zum Beispiel Süßstoffe, die teilweise sogar bitter schmecken. Wollen wir uns zuckerärmer ernähren, hilft es zunächst, sich an einen weniger süßen Geschmack zu gewöhnen. Um weißen Haushaltszucker zu reduzieren, kann man auf von Natur aus süße Lebensmittel wie Obst oder Trockenfrüchte zugreifen. Mit diesen lassen sich leckere Desserts und Zwischenmahlzeiten zubereiten. Diese kaum oder gar nicht verarbeiteten Lebensmittel enthalten zwar auch Zucker, aber in der natürlichen Komposition. Essen wir Lebensmittel wie Obst und erleben ihre Süße, findet keine Täuschung, sondern eine Begegnung statt: Die Lebensmittel sind echt und der Organismus kann sich mit ihnen auseinandersetzen. Auf diese Art und Weise entwickeln wir eine ehrliche zuckerarme Ernährung.
Literaturverzeichnis
[1] Samuthpongtorn C, Nguyen LH, Okereke OI, Wang DD, Song M, Chan AT, Mehta RS (2023). “Consumption of Ultraprocessed Food and Risk of Depression.”JAMA Netw Open. 2023;6(9):e2334770. doi:10.1001
[2] Suez J, Cohen Y, Valdés-Mas R, Mor U, Dori-Bachash M, Federici S, Zmora N, Leshem A, Heinemann M, Linevsky R, Zur M, Ben-Zeev Brik R, Bukimer A, Eliyahu-Miller S, Metz A, Fischbein R, Sharov O, Malitsky S, Itkin M, Stettner N, Harmelin A, Shapiro H, Stein-Thoeringer CK, Segal E, Elinav E (2022). "Personalized microbiome-driven effects of non-nutritive sweeteners on human glucose tolerance" Cell. 185(18): 3307–28.e19.
[3] Iizuka K (2022). "Is the Use of Artificial Sweeteners Beneficial for Patients with Diabetes Mellitus? The Advantages and Disadvantages of Artificial Sweeteners." Nutrients. 14(21):4446. doi: 10.3390/nu14214446.
[4] Statista (2023). “Süßungsmittel – weltweit”.https://de.statista.com/outlook/cmo/lebensmittel/aufstriche-suessungsmittel/suessungsmittel/weltweit abgerufen am 16.09.2023
[1] Dosierung unterhalb des ADI-Wertes (Acceptable Daily Intake), der die zulässige tägliche Aufnahmemenge angibt. Dieser ergibt sich aus der geschätzten Menge eines Stoffs in Lebensmitteln oder Trinkwasser, die täglich im Laufe eines Lebens konsumiert werden kann, ohne dass er ein merkliches Risiko für die Gesundheit birgt. Der ADI-Wert ist für jeden Süßstoff anders:
| Saccharin | Sucralose | Aspartam | Stevia |
ADI-Wert für eine Person mit 70kg (mg/Tag) | 280 | 350 | 1050 | 3500 |
Tägl. Dosis (mg), die in der Studie in 6 Portionen pro Tag verabreicht wurde | 180 | 102 | 180 | 240 |
[2] Messungen der Fähigkeit des Körpers, größere Mengen an Zucker zu verstoffwechseln.