Menschen sind Gewohnheitstiere. Darum fällt es oft schwer, eine etablierte und funktionierende Routine zu ändern. Im Weinbau ist es nun so, dass die Routine, grosse Mengen an Pestiziden einzusetzen, zwar schon lange etabliert ist, aber zukünftig nicht mehr funktionieren wird, da die Umweltauswirkungen schlicht zu gravierend sind. Der Ecophyto-Plan der EU sieht vor, die Menge ausgebrachter Pestizide in Frankreich bis 2025 zu halbieren, verglichen mit dem Niveau von 2015. Das führt wiederum dazu, dass Winzer:innen aufgrund sich wandelnder Gesetzesvorgaben gezwungen sind, ihre eigenen Routinen und Arbeitsabläufe zu überdenken und anzupassen.
Tabelle 1: Entwicklung des Weinbaus in Bordeaux seit 2005.
Für diese qualitative Fallstudie wurden Interviews mit 17 Winzer:innen aus Bordeaux durchgeführt, die teils sehr unterschiedliche Anbaumethoden anwenden. Die Winzer:innen wurden gefragt, wie sie ihre Routinen Anpassen, welche Mechanismen diese Veränderungen antreiben, und welche Rolle dabei politische Massnahmen spielen. Aus den Interviews konnten die Autorinnen fünf unterschiedliche Pfade zur Nachhaltigkeit ableiten:
- «Das übliche Geschäft»: Festhalten an traditionellen Methoden.
- «Das Geschäft muss sich weiterentwickeln»: Optimierung, aber keine vollständige Umstellung.
- «Bio-skeptisch»: Bereitschaft zum Testen nachhaltiger Methoden, jedoch mit Vorbehalten.
- «Bio-enthusiastisch »: Vollständige Umstellung auf nachhaltigere Praktiken.
- «Rebell»: Vollständige Umstellung unter Einbezug radikalerer Ansätze.
Die Auswertung der Interviews zeigt, dass eine Umstellung auf nachhaltige Praktiken ein komplexer Prozess ist, der von strukturellen Bedingungen, Umweltdruck, Standortbedingungen, dem Willen zur Veränderung, Politik, und weiteren Faktoren beeinflusst wird. Die Pfade in Richtung Nachhaltigkeit sind keineswegs linear, sondern ineinander verschlungen. Zudem befinden sich die einzelnen Winzer:innen an ganz unterschiedlichen Stellen auf diesem Weg.
Die Studienautorinnen betonen, dass keine universelle Lösung für eine Umstellung in Richtung Nachhaltigkeit existiert. Der Weg zur Nachhaltigkeit im Weinbau ist lang und unsicher. Lokale und flexible Ansätze sind erforderlich, um unter wirtschaftlichem Druck eine Ökologisierung wahrzunehmen. Kollektive Lernprozesse, politische Rahmenbedingungen und intensivierte Forschung wirken in diesem Prozess unterstützend. Zudem sei es wichtig, traditionelle Praktiken zu hinterfragen und innovative Lösungen zu fördern.
Tabelle 2: Angaben zu den Interviewpartner:innen
Kommentar
Aus Sicht der Biodynamik ist es begrüssenswert, dass in der Studie die Bedeutung biologischer Vielfalt und Bodenfruchtbarkeit betont wird. Der Fokus auf lokale Bedingungen und individuelle Entscheidungen lässt sich gut vereinbaren mit dem biodynamischen Prinzip, den landwirtschaftlichen Betrieb ganzheitlich zu betrachten und als lebendigen Organismus wahrzunehmen. Zudem heben die Autorinnen die Bedeutung von Reflexion, Lernen und Flexibilität hervor, um neue Handlungsmuster zu etablieren.
Die Studie verpasst es jedoch, konkrete Handlungsempfehlungen für Winzer:innen oder Politiker:innen abzugeben oder Angaben zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit zu machen. Dass biodynamische Winzer:innen auf den Pfaden zur Nachhaltigkeit den «Rebellen» zugeordnet werden, mag zwar im Einzelfall zutreffen, verschleiert aber auch das grosse Potential der Biodynamik, die ja schlussendlich schon weit fortgeschritten ist auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. In diesem Sinne braucht es vielleicht tatsächlich etwas mehr Rebellion, wenn wir uns von einem umweltschädigenden Landwirtschaftssystem lossagen wollen.
Quellen und weiterführende Links zu diesem Artikel
- Originalstudie:
Lazaric, N., Echajari, L., Leszczynska, D. The Multiplicity of Paths to Sustainability, Grand Challenged and Routine Changes: The Long Road for Bordeaux Winemakers. Innovations – Revue d’économie et de management de l’innovation, In press.
https://shs.hal.science/halshs-04867811v1