Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Albert Einstein
Jedes Jahr nimmt die Fehlernährung in der Welt zu. Auf der einen Seite leiden mehr als 820 Millionen Menschen an Hunger. Andererseits sind 1,9 Milliarden Erwachsene übergewichtig oder fettleibig, was zu ernährungsbedingten nicht übertragbaren Krankheiten wie Herzerkrankungen, Schlaganfall, Diabetes und einigen Krebsarten führt.
Die großen globalen Krisen wie die Klimakrise, der Verlust der Bodenfruchtbarkeit und Artenvielfalt, aber auch die Covid-19-Pandemie verschärfen das Problem der Fehlernährung weiter. Aber auch Umweltschäden, Kriege und Konflikte bedrohen die Ernährungsgrundlage. All diese Probleme sind vom Menschen verursacht. Auch die ungleiche Verteilung der Nahrungsmittel, die Hunger auslöst, ist ein vom Menschen gemachtes Problem oder besser ein Problem der Menschlichkeit. Die vorsätzliche Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen ist sicherlich nicht werteorientiert. Aber sie geschieht. Man hat keinen Bezug mehr zu den Folgen des eigenen Handelns. Die Menschen stehen kaum mehr in Beziehung zur Natur, den Pflanzen, den Tieren und auch soziale Verbundenheit lässt nach. Es ist offensichtlich, dass dies keine gesunden Verhältnisse sind. Aber sie sind notwendig, um gesunde Lebensmittel zu erzeugen, die auf gesundem Boden wachsen, unter Berücksichtigung der natürlichen Qualität verarbeitet und fair gehandelt werden.
Es liegt auf der Hand, dass ein Umdenken und ein anderes Verhalten erforderlich sind. Man könnte sogar von einem Paradigmenwechsel sprechen, denn die Einstellung gegenüber dem Leben und der Erde muss sich grundlegend ändern, von der Beherrschung und Ausbeutung hin zu einer gemeinsamen Entwicklung.
Ein erster Schritt, um dies zu erreichen, ist die Überwindung der Unverbindlichkeit durch achtsames Essen. Das bedeutet, die Aufmerksamkeit auf das Essen zu richten, beim Essen präsent zu sein, absichtlich, Augenblick für Augenblick, ohne zu urteilen. Achtsames Essen ist die Übung, wahrzunehmen, was auf dem Teller liegt, wie es riecht und schmeckt und wie es verdaut werden kann. Die Sinne zu schulen bedeutet, die menschlichen Organe zu betätigen, um sich mit der Welt zu verbinden und Beziehungen herzustellen. Das bewusste Wahrnehmen der Lebensmittel und das bewusste Essen fördert die Beziehung zu sich selbst als Voraussetzung für die Fähigkeit, mit anderen in Beziehung zu gehen. Es ermöglicht die Begegnung mit Lebensmitteln und ihrer Geschichte, mit der der Verbraucher durch seine Ernährung unweigerlich verbunden ist. Umwelt- und klimafreundliche Produktion, wie z.B. die biologisch-dynamische Landwirtschaft, führt zu Lebensmitteln, die gut schmecken und damit anregend wirken und Freude bereiten, die nicht auf Kosten anderer geht. Es entstehen Empathie und Interesse. Das heißt, die Menschen interessieren sich dafür, woher die Lebensmittel kommen und unter welchen Bedingungen sie produziert und gehandelt werden. Beziehungen, Partnerschaft und Respekt werden gepflegt. Dies sind Schlüsseleigenschaften für eine gesunde Zukunft der Erde. Der Ansatz der Achtsamkeit und des achtsamen Essens ist nicht exklusiv und jeder kann ohne Vorbedingung beginnen, egal an welchem Punkt der Wertschöpfungskette er sich befindet.
Achtsamkeit zu praktizieren bedeutet, Kernkompetenzen für erfolgreiche nachhaltige Lebensmittelsysteme zu entwickeln. Da diese Haltung eine positive Entwicklung in individuellen, sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen fördert, wird die Methode als erster Schritt für einen Systemwandel vorgestellt. Auch in den ärmeren Ländern ist diese Beziehungsfähigkeit notwendig, sie führt zu einer Haltung der Würde, einer Erfahrung der Selbstwirksamkeit, erzeugt Hoffnung, überwindet Depression und fördert das Handeln, denn durch unser Handeln wird die Zukunft gestaltet.
Dr. Jasmin Peschke, Fachbereich Ernährung, Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum
Dieser Artikel ist eine Kurzfassung des Beitrags auf dem Organic World Congress 2021 (6. bis 10. September, Rennes, Frankreich).