Der Agrarwissenschaftler und Forscher Dr. Christopher Brock lädt Sie zu einer Denkreise ein: Wie stehen landwirtschaftliche Praxis und Forschung zueinander? Was kann die Forschung für die Landwirtschaft leisten? Und wie müsste sich die Forschungsperspektive verändern, dass sie den spirituellen Grundlagen der biodynamischen Landwirtschaft gerecht wird? Lassen Sie sich auf grundsätzliche Überlegungen ein!
Die Landwirtschaft hat sich über Jahrtausende hinweg entwickelt, basierend auf der Fähigkeit der Landwirt:innen, die natürliche Welt, mit der sie arbeiteten, wahrzunehmen und zu verstehen. Diese Entwicklung geschah lange Zeit ohne die Unterstützung von Wissenschaftler:innen. Auch heute noch gestalten Landwirt:innen ihre Anbausysteme stark nach ihren eigenen Kenntnissen und Bedürfnissen. Jedoch sind Landwirt:innen keine isolierten Expert:innen, die unabhängig von der Außenwelt agieren. Vielmehr ist die Landwirtschaft eine Agrarkultur – eine kulturelle Tätigkeit, die nicht nur in ein natürliches, sondern auch in ein soziales Umfeld eingebettet ist und von anderen Wissensträger:innen unterstützt wird.
Was Forschung für die Landwirtschaft leisten kann
Forschung ist ein Weg der systematischen Erforschung, der es ermöglicht, Phänomene und Prozesse nicht nur intuitiv zu verstehen, sondern auch zu erklären und mit anderen Beobachtungen zu verknüpfen. Darüber hinaus ermöglicht die Forschung den Transfer von Erkenntnissen sowie die Generierung allgemein verfügbaren und anwendbaren Wissens. Auch wenn sich landwirtschaftliche Systeme auf der Grundlage des Wissens der Landwirt:innen im Laufe der Zeit ähnlich entwickeln können, kann der methodische Ansatz der Forschung diese Prozesse beschleunigen, was für eine schnellere Verbesserung und die Vermeidung von Misserfolgen von großem Wert ist.
Erkenntnisse außerhalb der Wahrnehmung
Die Forschung kann auch Erkenntnisse zu Themen liefern, die nicht in der Wahrnehmung der Landwirt:innen liegen. Zum Beispiel werden Lachgasemissionen auf einem Bauernhof oft nicht wahrgenommen, da der Stickstoffverlust gering ist und das Gas weder Geruch noch Farbe hat. Gleichzeitig ist Lachgas als Treibhausgas 265-mal wirksamer als CO₂. Auch Aspekte der Lebensmittelqualität können schwer wahrnehmbar sein, wenn die Auswirkungen auf die Gesundheit gering sind.
Nicht zuletzt kann die Forschung ein Umfeld für Experimente schaffen. Landwirtschaftsbetriebe sind sowohl den Naturgewalten als auch den wirtschaftlichen Auswirkungen ausgesetzt, wodurch die Kapazität für Experimente in der Regel sehr gering ist. Dies führt dazu, dass Entwicklungen oft unter Druck stattfinden und begrenzt sind.
Die Forschung muss erweitert werden
Forschung zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung ist eine inter- und transdisziplinäre Aufgabe, die nicht nur die ökologische, sondern auch die sozioökonomische und kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit umfassen muss. Außerdem sollten wir die Grenzen unseres wissenschaftlichen Wissenssystems anerkennen. Werner Merker schlägt in seinem Buch «Die Wissenschaft des Lebendigen» organisches statt mechanistisches Denken vor: Das bedeutet, Empathie und Intuition in die Wahrnehmung der Welt und der Lebensprozesse einzubeziehen.
In unserem Forschungsteam, zu dem Mitarbeitende aus dem Forschungsring, dem zentralen Forschungsinstitut der biologisch-dynamischen Bewegung, und Demeter Deutschland gehören, kamen wir zum Schluss, dass es eine ganzheitlichere Perspektive braucht – sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Hinsicht.
Horizontaler Holismus
Dies bedeutet, eine breitere Perspektive einzunehmen und das ökologische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umfeld eines bestimmten Studienobjekts zu berücksichtigen. Zum Beispiel könnten wir die Auswirkungen biodynamischer Präparate auf die Ernteerträge untersuchen – ein wertvolles Unterfangen, das jedoch einem klassischen disziplinären Ansatz der Pflanzenwissenschaften folgt. Erfreulicherweise ist die interdisziplinäre Forschung in den letzten Jahrzehnten immer üblicher geworden. In unserem Beispiel könnte dies auch die Untersuchung der Auswirkungen der Präparate auf Bodeneigenschaften und das Mikrobiom umfassen.
Eine wirklich ganzheitliche Perspektive schließt jedoch auch die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Dimension ein. In unserem Beispiel würden wir auch überlegen, warum wir die Präparate anwenden. Wir würden die persönliche Beziehung zur Präparatearbeit untersuchen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen und die kulturell-spirituelle Rolle der Präparatearbeit auf dem Bauernhof.
Vertikaler Holismus
Die Forschung im Bereich der biodynamischen Ernährung und Landwirtschaft stützt sich stark auf Methoden der Naturwissenschaften. Das ergibt Sinn, da diese ein leistungsfähiges Instrument zur Untersuchung der physischen Welt darstellen. Die biodynamische Landwirtschaft basiert jedoch auf einer Philosophie, die mehr Dimensionen als die physische Welt umfasst. Es wäre daher nicht angemessen, biodynamische Lebensmittel und Landwirtschaft ausschließlich auf physischer Basis und mit naturwissenschaftlichen Methoden zu untersuchen.
Verschiedene Wissenssysteme integrieren
Wenn wir wissenschaftliche Forschung betreiben wollen, die das anthroposophische Konzept als Grundlage der biodynamischen Landwirtschaft anerkennt, müssen wir verschiedene Wissenssysteme integrieren, ohne eines von ihnen zu gefährden. Die Darstellung der Ergebnisse aus all diesen Erhebungsmethoden bietet eine Grundlage für ganzheitliche Schlussfolgerungen, die der Komplexität der Landwirtschaft entsprechen und Lösungsansätze für ökologische, ökonomische und soziale Herausforderungen anbieten.
Dr. Christopher Brock ist Forschungskoordinator für Demeter e.V., Vorstand am Forschungsring, Mitglied des Vertreterkreises der Sektion für Landwirtschaft und Mitbegründer der Internationalen biodynamischen Forschungsplattform. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bodenfruchtbarkeit, partizipative Praxisforschung, Forschungsmethoden und Wissenschaftstheorie.
Diesen und weitere Artikel finden Sie in der zweiten Ausgabe unseres Magazins «Living Farms».
Wenn Sie mehr über biodynamische Forschung erfahren wollen, sind Sie herzlich eingeladen zur «Dritten internationalen biodynamischen Forschungskonferenz» vom 31. August bis 4. September 2025 in Cirencester, Grossbritannien. Alle, die sich für die vielfältige biodyamische Forschung interessieren, sind herzlich willkommen!