Führung und Partnerschaftlichkeit erschienen lange Zeit als Gegensätze. Doch die Arbeitswelt ist Wandel. Die Idee von ‹Führen und Ausführen› löst sich auf und macht Platz für gemeinschaftliche Wertschöpfungsprozesse. Diese sind geprägt von einem neuen Bild der Mitarbeitenden als Teil der Sinnstiftung, des Potenzials und der Verantwortlichen einer Organisation. Wie solch eine Umstellung für die neuen Mitarbeitenden der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum aussehen kann, erzählte uns Verena Wahl, Geschäftsführerin. Das Gespräch führten Franka Henn und Wolfgang Held.
Die Sektion hat in den letzten Jahren einen Organisationsentwicklungsprozess angestoßen, bei dem eure Arbeit vollständig umgekrempelt wurde und Visions- und Tatkraft in den Mittelpunkt gerückt sind. Drei Jahre hat dieser Umbau gedauert. Wie ist er entstanden?
Ich habe vor vier Jahren angefangen, hier zu arbeiten. Es war bereits im ersten Jahr klar, dass die Aufgaben, die auf die Sektion zukommen, immer mehr werden und von dem kleinen Team nicht zu schaffen sind. Die erste große Aufgabe, die ich bekam, war 2017, zusammen mit 50 Menschen der internationalen biodynamischen Bewegung nach Indien zum Organic World Congress in Delhi zu reisen. Das war das erste Mal, dass die Sektion und die internationale biodynamische Landwirtschaftsbewegung gemeinsam eine zentrale Veranstaltung außerhalb Mitteleuropas besuchten. Daraus erwuchsen noch mehr Aufgaben. Es wurde überdeutlich, dass es viel zu tun und auch Unterstützung gibt, und dass der Wunsch da ist, dass wir mehr machen. Aber bis dato gab es die beiden Sektionsleiter, eine Sekretärin und Jasmin Peschke mit je einer Teilzeitstelle. Da wurde für mich bereits klar, dass man nicht nur mehr Menschen einstellen, sondern die Arbeit strukturell verändern muss. Dafür konnte nicht mehr alle Verantwortung bei einer Spitze liegen. Ein wichtiger Faktor für uns war auch, dass beide Sektionsleiter nicht in Dornach wohnen und tatsächlich nur einmal die Woche hier sind. Es brauchte ganz einfach andere Verantwortungs- und Entscheidungsstrukturen, um gut arbeiten zu können.
Das heißt, es ging um eine Veränderung der Konstitution, nicht nur der Aufgabenverteilung?
Ja. Ich habe gemerkt, selbst wenn ich zwölf Stunden am Tag arbeite, bleibt immer noch die Hälfte liegen. Schon im ersten Jahr kam der Punkt, wo ich mich fühlte, als würde ich die Schule schwänzen, wenn ich um 19 Uhr Feierabend machte. Denn normalerweise arbeitete ich bis 20 oder 21 Uhr, und zwar jeden Tag. Das ist auf Dauer weder gesund noch sinnvoll. Die erste Idee war dann, das Team zu erweitern, aber alles über mich oder die Sektionsleiter laufen zu lassen. Das ist jedoch nicht die Art, wie junge Menschen heute arbeiten wollen. Meiner Erfahrung nach sind sie bereit, Verantwortung zu übernehmen, auch für größere Projekte, nicht nur für einzelne Aufgaben. Dafür mussten wir umstrukturieren.