Sehr schnell wurde deutlich, dass die Studierenden – hauptsächlich «town kids» ohne jeglichen Bezug zu Natur und Landwirtschaft – für die direkte Begegnungen und das unmittelbare Erleben auf die Farm geholt werden müssen. Heute finden alle sechs zehntägigen Kurs-Module jeweils zu Semesterbeginn auf der Sekem Hauptfarm statt, wo auch die nötigen Unterrichtsräume und die Hotellerie bereitgestellt werden.
Biodynamische Berater:innen und Forscher:innen aus Europa wie Reto Ingold, Peter Kunz, Jasmin Peschke, Maja Kolar, Jean-Michel Florin und Ueli Hurter unterrichteten regelmäßig nach dem Prinzip: sich von anderen Menschen anleiten lassen, selber wahrnehmen und beobachten und als Teil in einem Organismus tätig werden, das Erlebte verdauen und gemeinsam reflektieren, neue Ideen entwickeln, austauschen und das Erarbeitete einem Publikum präsentieren. Das ist nicht nur für die Studierenden, die vor allem das Auswendiglernen von abstrakten Inhalten gewohnt sind, sondern auch für die Lehrpersonen und die Assistent:innen eine Herausforderung, denn es gilt nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis einigermaßen sattelfest zu sein.
Beispielsweise: die Hände in den Boden oder den Kompost stecken, um daran zu riechen, ob er wirklich in gutem Zustand ist, Kamille pflanzen und fünf Monate später ernten, Kühe füttern, ihre Verdauung verstehen und ihre Milch zu Joghurt und Quark zu verarbeiten, in der Mensa Gemüse für 600 Mittagessen putzen und schneiden und ebenso viele Sandwiches für die Schulpause füllen und verkaufen, ein Rind schlachten, das Fleisch zu Köfte verarbeiten sowie die Organe mit den biodynamischen Präparatepflanzen zu befüllen, über die eigene Ernährung nachdenken – wie viele Gramm Getreidekörner frisst das Huhn für mein Frühstücksei? –, die Wirtschaftlichkeit einer Kamilleproduktion und ihrer Verarbeitung zu Teebeuteln berechnen und schließlich eine Ahnung von den nötigen Überschuss-Geldflüssen von der Produktion und Verarbeitung bzw. der Vermarktung zum Sekemer Kultur- und Gesundheitswesen bekommen. Diese ganze Vielfalt muss man gründlich kennen, um einen biodynamischen Hoforganismus zu planen und zu managen oder um die Bäuerinnen und Bauern wirklich kompetent beraten zu können.
Von Anfang an war es das Ziel, die Module so zu implementieren, dass sie von lokalen Dozent:innen und Assistent:innen unterrichtet werden können. Dieser Schritt ist nun abgeschlossen worden: Nachdem sich die externen Lehrpersonen in den letzten Jahren vorwiegend aufs Coaching beschränkt hatten, sind nun die sechs Module am 3. September 2024 in einer offiziellen Feier in Sekem an die Leitung und die Mitarbeitenden der Heliopolis Universität Kairo, unterdessen über dreissig Personen, übergeben worden. Pro Semester werden die Kurse aktuell von 70 bis 90 Studierenden besucht und in jedem Kurs wirken unterdessen ein bis zwei Ehemalige als Assistent:innen mit. Die Erfahrung zeigt, dass bei den Studierenden – nach einer anfänglichen Irritation über das Ungewohnte – schnell eine große Wachheit und Begeisterung für die großen zu lösenden Aufgaben in der Landwirtschaft aufkommen. Ihr Können ist sehr gefragt, denn in Ägypten wollen zurzeit pro Monat mehr als 1000 Kleinbäuerinnen und -bauern auf ökologische und biodynamische Landwirtschaft umstellen!
Der große Erfolg der biodynamischen Module war für die Heliopolis Universität Anlass, ähnliche Praxiselemente auch in allen übrigen Fakultäten zu implementieren. Unternehmen werden eingeladen, sich zu beteiligen, um besser qualifizierte und hoch motivierte Mitarbeitende zu bekommen. Durch die praktische Erfahrungen und Industrie-Praktika werden die Studierenden zu zukünftigen Mitarbeitenden, was sowohl Zeit als auch Kosten für die Einarbeitung neuer Mitarbeitenden spart.