Aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der biodynamischen Landwirtschaft verwandelten die Spitzenköchinnen Elif Oskan und Selassie Atadika zusammen mit verschiedenen Künstler:innen das Goetheanum in ein Paradies für die Sinne. Die Veranstaltungen an den Abenden vom 30. und 31. August 2024 fanden im Rahmen des experimentellen Gastronomieformats Steinbeisser statt und waren ein Erlebnis, das weit über den eigenen Tellerrand hinausging.
Spielerische Begegnungen
Anstatt klassischer Gabeln und Gläser erwarteten die Gäste kunstvoll gestaltete Essutensilien, die verschiedene Künstler:innen sowie Studierende des Bachelorstudiengangs Objektdesign der Hochschule Luzern entworfen hatten. Diese Objekte stellten die Gewohnheiten der Gäst:innen auf den Kopf und ermöglichten ein völlig neues Esserlebnis. «Wir möchten den Teilnehmenden eine neue Perspektive auf ihre Esskultur geben», erklärt Martin Kullik, Mitbegründer von Steinbeisser.
Alle 70 Teilnehmenden saßen an einer großen Tafel. Gemeinsam experimentierten sie, wie sich die servierten Köstlichkeiten mit dem vorhandenen Besteck essen ließen. Die von Alena Kelm kreierten Holzlöffel erlaubten beispielweise nur einen Gebrauch zu zweit – da macht Essen doppelt Spass. Fantasie und Humor waren gefragt, und so entstand in Kürze eine warmherzige und spielerische Stimmung, die Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen einander näher brachte und verband.
Biodynamisch und regional
Elif Oskan, bekannt für ihr Restaurant «Gül» in Zürich, und Selassie Atadika, eine Vordenkerin der Neuen Afrikanischen Küche aus Accra, Ghana, kreierten ein rein pflanzliches Menü mit biodynamischen Zutaten aus dem Goetheanum-Garten sowie biologischen Produkten aus der Region. Es ist keine Seltenheit, dass die Haute Cuisine auf biodynamische Lebensmittel setzt, denn dank eines ausgewogenen Wachstums- und Reifungsprozesses sowie des pestizidfreien Anbaus zeichnen sie sich durch eine besonders hohe Geschmacksqualität aus. Jean-Michel Florin, ehemaliger Co-Leiter der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum, sieht in der Zusammenarbeit mit Steinbeisser und den beiden Spitzenköchinnen eine ideale Möglichkeit, die Prinzipien der biodynamischen Landwirtschaft auf eine neue und künstlerische Weise zu präsentieren.
Biodiversität auf dem Teller
Neben der künstlerischen und kulinarischen Erfahrung ging es auch um die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen. Unser Konsumverhalten trägt maßgeblich zur Zerstörung der Biodiversität bei. Die Künstler:innen reflektierten dies in ihren Designobjekten: Materialien sollten erneuerbar sein, die Produktionsprozesse nachhaltig. Ein Beispiel dafür war das Kunstobjekt «Eat like a Bark Beetle» von Lia Chiara Burkhart, bei dem die Essenden die Speisen aus einem geschnitzten Holz schabten – eine Hommage an den Borkenkäfer. Statt als Schädling wurde der Käfer hier als ein wichtiger Akteur in der Natur dargestellt, der das Ökosystem bereichert.
Lebendiges Goetheanum
Das Goetheanum schien der perfekte Veranstaltungsort für Steinbeissers Vorhaben zu sein; nicht nur, weil sich die Werte von Steinbeisser und der biodynamischen Landwirtschaft decken, sondern auch weil die nachhaltig hergestellten Kunstobjekte aus Naturmaterialien mit der organischen Architektur des Goetheanums korrespondierten.
Die Steinbeisser-Abende am Goetheanum zeigten, dass Essen weit mehr ist als bloße Nährstoffaufnahme: Es kann zu einem tiefen, sinnlichen Erlebnis werden, das uns die Verbindung zu unseren Mitmenschen, zu Kunst und Natur neu entdecken lässt. Es bleibt zu hoffen, dass solche Veranstaltungen auch in Zukunft stattfinden und dazu beitragen, das Bewusstsein für nachhaltige und biodynamische Landwirtschaft weiter zu schärfen.
Die Zukunft der Esskultur
In einer Welt, in der das Thema Nachhaltigkeit zunehmend bedeutender wird, kann die biodynamische Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag leisten. Sie bietet nicht nur Lösungen für die drängenden ökologischen Probleme unserer Zeit, sondern schafft auch einen Raum für neue ästhetische und sinnliche Erfahrungen. Die Abende am Goetheanum waren ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie diese Prinzipien in der Praxis umgesetzt werden können – und wie sie uns helfen, unseren Umgang mit der Natur und mit Lebensmitteln grundlegend zu überdenken. Die Gäst:innen gingen nicht nur mit einem vollen Magen nach Hause, sondern auch mit neuen Erkenntnissen und Denkanstößen über das, was auf ihren Tellern lag – und darüber hinaus.