Holger Coers
Mit dem diesjährigen Tagungsthema werden unmittelbar Fragen berührt, die mich seit längerem beschäftigen. Diese sind zunächst ein zärtliches Lebensgefühl. Es in Worte zu fassen, erweist sich im Detail als schwierig greifbar. Ein Formulierungsversuch:
Wie kann ich meine Liebe zur Erde, mein Staunen und meine gelegentlich auflodernde Dankbarkeit vertiefen?
Wie kann ich meine Aufmerksamkeit und Zuwendung, mein bewusstes Wahrnehmen und Reflektieren der Erde so zur Verfügung stellen, daß sie als eine individuelle Ganzheit in mir neu entstehen und zu einer deutlicheren Erfahrung ihres Geistigen werden kann?
Aus meiner Berufspraxis als Gärtner und Baumpfleger nährt sich eine erfahrungsgesättigte Überzeugung, daß eine sach-, situations-, und wesensgemäße Pflege Entwicklungspotentiale freisetzt und daß zugleich meine innere Einstellung einen entscheidenden Anteil an Erfolg oder Misslingen von Pflegemaßnahmen haben kann.
Diese praxiserprobte Überzeugung ist verbunden mit zwei Bedürfnissen:
a) vertieftes Verstehen und Eintauchen in die Zusammenhänge von menschlichem Tun und Be-Wirken in der Welt
b) bewusstere, wie liebeerfüllte Handhabe der eigenen Zuwendungsmöglichkeiten für "die Erde"
Den Inhalt meines Vortrages kann ich ihnen leichter erklären, wenn wir Erlebnisse teilen. Daher möchte ich Sie, alle Anwesenden, in einer gemeinsamen Meditation mitnehmen:
Versetzen Sie sich innerlich an einen realen Ort, mit dem Sie durch schöne Erlebnisse verbunden sind, egal ob Sie einmal dort waren oder bereits öfter. Versuchen Sie dort ganz präsent zu sein und alles in ihrer Erinnerung wahrzunehmen.
Im Verlassen des Ortes wenn möglich ihn mit den positiven Empfindungen beschenken.
- ca. 3-4 minütige Meditation - Vielen Dank!
Über ihre Erlebnisse können wir uns nicht austauschen und sicher gab es Schwierigkeiten bei dieser Übung, welche wir aber stehen lassen müssen. Aber bitte nutzen Sie später die Gelegenheiten über ihre Erfahrungen ins Gespräch zu kommen. Bewahren Sie Ihre Meditationseindrücke so gut es geht in ihrem wachen Innenraum! Ich möchte Sie auch sogleich "vorwarnen": wir werden gegen Ende meiner Darstellungsversuche noch einmal eine solche kurze (Fern)Reise unternehmen.
Meine anfangs formulierte Frage könnte auch wie folgt, gestellt werden:
Wie kann ich eine seelisch-geistige Haltung entwickeln und pflegen, welche die Erde tatsächlich als einen globalen Garten auffasst? Die Erde als mein persönliches Anliegen!?!
Hierzu sind folgende Fragen notwendig:
Was ist die Erde? Was ist ein Garten? Was heisst global?
Zur ersten:
Aus dem inneren Erlebnis ist die Erde weniger, die uns allen bekannte hübsche blaue Murmel/Kugel im Weltall, als viel mehr ein nicht ermessbarer Kosmos, bestehend auch aus den Bewusstseins-Welten und Lebenswirklichkeiten jedes Menschen, und von Menschengemeinschaften.Die Erde ist nicht nur ein räumliches, sondern ein überräumliches sehr komplexes Gebilde, etwas, das wie ein seelisch-geistiger Kosmos erscheinen kann. An der Wirklichkeit dieses Kosmos gestaltet jeder Mensch individuell und in Gemeinschaft mit anderen Menschen mit. Bewusst oder unbewusst.
Zur zweiten Frage:
Der Garten ist eine Ab-Sonderung, aus einem größeren Allgemeinen, ein be-sonderer, oft begrenzter Entwicklungsraum: Genesis (2,8): "...und Gott pflanzte einen Garten in Eden; dort hinein setzte er den Menschen."
Es ist der Raum mit einer besonderen liebeerfüllten, umhegenden und schützenden Zuwendung. Der Garten wurzelt in seinem Schöpfer; er lebt als Keim im seelisch-geistigen Innenraum des Gärtners, bevor er im Sinnlichen konkrete Gestalt annehmen kann und wird. Und natürlich wirkt dieser auch wieder auf ihn zurück. Der Garten wird zum Ausdruck der Intentionen und seelisch-geistigen Bezüge, in den der Mensch oder die Gruppe von Menschen lebt, die ihn bewirtschaftet.
Das Ausdehnen der Grenzen des seelischen Gartens beginnt mit einem um-fassenden Bejahen aller Erscheinungsweisen der Welt: Ich bin - nach meinen Kräften!- bereit mich berühren zu lassen nicht nur von Schönheit und Erhabenheit, sondern auch von Gewöhnlichem. Es gilt, sich der inneren Zensur bewusst zu werden, mit der wir der Welt dauernd begegnen und diese immer wieder absichtlich zu durchbrechen. Es geht also auch und gerade um die sinnlich-seelische Hinwendung und das Interesse zu Orten, denen wir mit Gleichgültigkeit oder Abscheu begegnen. Orte die unseren Taten entspringen.
Zur dritten Frage:
Das Globale liegt somit nicht in einer ohnehin unmöglichen räumlichen Omnipräsenz, womöglich mit medialer Hilfe (sei es technologisch oder übersinnlich), sondern in meiner wachsenden Fähigkeit zur akuten Präsenz, zur liebevollen lauschenden Wachheit "vor Ort"!
Denn alle nicht originär selbst gemachten (Sinnes-)Erfahrungen sind Abstraktionen!
Hinzu kommt aber, daß ich meditativ reflektierend, das von mir Erlebte und Wahrgenommene in Beziehung setze. Dadurch werde ich mir meines individuell-biographischen Globus bewusst und "erschaffe" ihn.
Erneute bitte ich alle Anwesenden in eine kurze Meditation zu gehen:
Hier nun möchte ich Sie, wie angekündigt, zu einem weiteren innerlichen Kurzausflug an einen Ort Ihres Lebens einladen. Diesmal wird es vermutlich etwas schwieriger:
Versetzen Sie sich an einen Ort, zu dem Sie kein besonderes emotionales Verhältnis haben, der ihnen aber durch häufigeres frequentieren bekannt ist: etwa eine Ampelkreuzung, an der Sie öfters stehen, ein Parkplatz oder eine Bahnsteig, auf dem sie manchmal stehen o.ä. und der zunächst auch nichts gartenhaftes auszeichnet. Versuchen Sie sich erneut ganz dorthin zu begeben und diesen Ort zu erinnern und ihn innerlich zu erleben. Was entdecken Sie dort? Was empfinden Sie? - ca. 3 bis 4 minütige Meditation - Vielen Dank! (Stimmung?!)
Sollte es ihnen während beiden Gedankenreisen gelungen sein, jeweils an einen Ort, und sei es auch nur kurz, angekommen zu sein, so haben Sie sich mit zwei Orten verbunden und Ihr Verhältnis zu diesen, wenngleich erinnernd, aktualisiert. Zudem stehen diese beiden Lokalitäten, die äußerlich vermutlich gar nichts miteinander zu tun hatten, nun durch Sie in dem bewussten Zusammenhang ihre wachen Seelenraumes.
Das alles sind keine neuen Vorgänge, das entscheidende ist, daß wir uns ihrer bewußt werden und sie beobachtend handhaben. Wir entwickeln seelisch-geistige Techniken und Fähigkeiten, wenn wir unser Erdeninteresse erweitern und erfahren wollen, welche Bedeutung unser liebevolle Hinwendung hat.
Als Menschen kann ich mich für alles interessieren. Ich kann Beziehungen aufbauen zu Orten, wie zu anderen Menschen. Was ist ein Mensch? Was ist ein Ort?
Beide haben sie vieles gemeinsam, nicht zuletzt, daß sie sich bei genauerem Betrachten nicht so eindeutig lokalisieren lassen, wie es anfänglich scheinen mochte. Das hat wohl damit zu tun, daß wenn ich von einem bestimmten Menschen, oder von einem bestimmten Ort oder einer Landschaft spreche, ich immer eine geistige Entität meine. Gibt es unwichtige Menschen? Gibt es unwichtige Orte? In der Regel verfahren wir mit Orten nach unserem Willen und ihrer scheinbaren Eignung. Wir benutzen sie auf die unterschiedlichsten Art und weisen; wir bebauen sie mir unseren Nahrungspflanzen und unseren Häusern, Straßen, Tempeln und Industrieanlagen. Wir graben und bohren uns in sie hinein, verbinden Abschnitte unserer Biographie mit der Ihren oder besuchen sie im Urlaub.
In diesem Sinne möchte ich Sie mit einem Forschungsauftrag betrauen. Ich schlage ihnen eine Übung vor, in die Sie ich allein oder gemeinsam mit anderen hineinbegeben können.
Der Auftrag lautet:
"Lerne einen Fremden kennen und entwickle eine intime Beziehung zu ihm"
Suchen Sie sich einen Platz oder Ort, der möglichst mit ihrer alltäglichen Umgebung in keiner Verbindung steht, der also außerhalb Ihres Betriebes, Hofes usw. liegt.
Suchen Sie sich so einen unspektakulären Ort oder lassen Sie sich von ihm finden, der außerhalb Ihrer normalen Verantwortung liegt, den Sie aber ohne allzu großen Aufwand gelegentlich immer wieder aufsuchen können.
Nehmen Sie ihn dann mit allen Sinnen und darüber hinaus war, lassen Sie sich auf ihn, auf seine aktuelle Erscheinung, seine Atmosphären usw. ein, so, als besuchten sie einen Menschen, der Sie interessiert und vergessen Sie ihn nicht, bleiben Sie ihm treu und räumen Sie ihm einen festen Platz in ihrem reflexiv-meditativen Leben ein.
Erinnern Sie sich z.B.: Wie war es dort bei meinem letzten Besuch? Wie mag es ihm jetzt wohl gehen? Was erwartet mich, wenn ich ihn heute wieder aufsuchen werde? usw.
Beobachten Sie mit Geduld alle Veränderungen und Wechselwirkungen, die sich in ihrem Verhältnis zu dem Ort einstellen, aber insbesondere auch, ob und wie sich Ihre Auffassung von Bergriffen wie Landwirtschaftliche Individualität und Landschaftsorganismus oder gar Erdorganismus dadurch verändern.
Zitat aus Hans-Christian Zehnter "Erde wird Mensch" (Das Goetheanum Nr.51-52, 2015):
" Wahre Globalität beruht auf der schauend-schaffenden Umarbeitung unserer alltäglichen, gegenständlichen Wirklichkeit in eine sinnlich-übersinnliche. Sie ist die Pflege dieses Leibes (der Leib Erde als Leib Christi, Amnerk.: H. Coers) und wird uns zur Nahrung unserer eigenen geistigen Existenz."
Mögen Sie alle wohlbehalten an ihre Wirkensorte auf dem Globus zurückkehren, die sie bitte sehr herzlich von mir grüßen!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Mitwirken!