Schon länger ist bekannt, dass sich das Stillen präventiv auf die Allergieentwicklung in den späteren Lebensjahren auswirkt [1]. Als ideale Nahrung für das Neugeborene gilt zunächst die Muttermilch, die genau auf die Bedürfnisse des Neugeborenen abgestimmt ist. Das Kind verbindet sich durch Atmung, Sinneseindrücke und Nahrungsaufnahme mit der Welt. Durch die Beikost nach vier bzw. sechs Monaten kann schon früh eine gesunde Beziehung zu Lebensmitteln und so eine gesundheitsförderliche Ernährung angelegt werden. Verschiedene Studien zeigen, dass das Stillen und frühe Erfahrungen mit Geschmacksvielfalt die Lebensmittelpräferenzen von Kindern teilweise über Jahre hinweg beeinflussen [2]. Außerdem erhöht wiederholtes Anbieten eines noch unbeliebten Gemüses dessen Akzeptanz beim Kind [3]. 2016 belegten Maier-Nöth et al. in ihrer Studie, dass diese Effekte stabil sind und bis zu sechs Jahre lang zuverlässig anhalten [3]. Die Ergebnisse bilden eine gute Grundlage für evidenzbasierte Empfehlungen, die Eltern dabei helfen sollen, gesunde Essgewohnheiten bei ihren Kindern anzulegen und zu fördern.
Maier-Nöth et al. untersuchten drei Faktoren (Stillen, Vielfalt an Gemüse, wiederholtes Anbieten) bei 72 bzw. 75 Kindern in zwei Regionen (Dijon, Frankreich und Aalen, Deutschland). Die Daten wurden jeweils im Alter von etwa 15 Monaten, drei und sechs Jahren erhoben. Dabei wurde unterschieden, ob die Kinder in den ersten Monaten gestillt oder mit Säuglingsnahrung ernährt wurden und ob ihre Ernährung zu Beginn der Beikost eine große Vielfalt an Gemüse enthielt oder nicht. Außerdem erfassten die Forschenden bei jeder Nachuntersuchung die Anzahl der von den Kindern gegessenen und gemochten Gemüsearten. Zusätzlich wurde die Akzeptanz von neuem, unbekanntem im Vergleich zu vertrautem Gemüse untersucht, indem sie im Alter von sechs Jahren Verzehrs- und Geschmackstests im Labor durchführten.
Zum ersten Untersuchungszeitpunkt, im Alter von 15 Monaten, mochten die gestillten Kinder mehr Gemüse im Vergleich zu den Kindern, die mit Säuglingsnahrung ernährt wurden. Dabei gab es keine regionalen Unterschiede.
Als die Kinder im Alter von drei Jahren zum zweiten Mal untersucht wurden, unterschied sich die Anzahl der «gegessenen und gemochten» Gemüsearten signifikant nach Region. Die Kinder in Aalen aßen mehr Gemüse und mochten es auch mehr als die Kinder in Dijon. Es gab keine Abhängigkeit von der frühen Erfahrung mit Gemüsevielfalt bzw. der Art der Milchfütterung.
Bei der dritten Untersuchung im Alter von sechs Jahren zeigte sich, dass Kinder, die zum Zeitpunkt der Beikost eine große Vielfalt an Gemüse kennengelernt hatten, neues Gemüse mehr mochten als Kinder, die nicht in den Genuss einer Gemüsevielfalt kamen. Dieser Effekt war signifikant. Ob die Kinder gestillt wurden oder Säuglingsnahrung bekommen hatten, zeigte in diesem Alter keinen Effekt mehr. Auch die Region spielte keine Rolle mehr.
Für die fortgesetzte Akzeptanz eines ursprünglich abgelehnten Gemüses zeigte sich, dass Kinder dieses nach wiederholtem Anbieten aßen und auch mochten. Das waren bei den 15 Monate alten Kindern 79%, bei den Dreijährigen 73% und bei den sechsjährigen Kindern immerhin noch 57%, die ein zunächst unbeliebtes Gemüse weiterhin aßen und es mochten.
Zusammenfassend zeigt die Studie, dass die Bereitschaft zum Probieren und der Verzehr von neuem und unbekanntem Gemüse bei Kindern, die zum Zeitpunkt der Beikosteinführung eine große Gemüsevielfalt kennengelernt hatten, deutlich höher war. Auch bei den gestillten Kindern im Alter von 15 Monaten war dieser Effekt nachweisbar. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass gestillte Kinder über die Muttermilch einer großen Vielfalt an Geschmacksrichtungen erfahren. Jede Stillmahlzeit ist eine Anregung verschiedener Sinne wie Geruch, Geschmack, Tasten und Wärme. Kinder nehmen über die Muttermilch nicht nur vielfältigere Geschmacksrichtungen auf, sondern auch immunregulatorische Substanzen wie zum Beispiel Antikörper, die die Entwicklung des Immunsystems des Kindes fördern. Dies mindert das Risiko für eine Allergieentwicklung in den späteren Lebensjahren.
Man kann also sagen, dass das Stillen und die frühen Erfahrungen mit Gemüsevielfalt während der Beikost offenbar die Akzeptanz von neuem Gemüse in der Kindheit fördern. Auch wirkt sich das wiederholte Auseinandersetzen mit einem Gemüse, das zunächst unbeliebt war, positiv aus. Den Kindern wurde nicht nur zwei oder drei Mal ein anfänglich ungeliebtes Gemüse angeboten, sondern acht bis zehn Mal. Es konnte gezeigt werden, dass dieses vermehrte Anbieten den Verzehr und die Vorliebe für dasselbe Gemüse bis zu sechs Jahre lang zuverlässig erhöht.
Mehrere Studien beschreiben, dass entgegen den Erwartungen das frühe Einführen von allergenen Lebensmitteln wie Eier, Nüsse oder Weizen im ersten Lebensjahr mit einem deutlich geringeren Risiko, eine Lebensmittelallergie zu entwickeln, assoziiert ist [4]. Anstelle der klassischen Beikost mit verschiedenem Brei wird immer häufiger die Methode «Baby led weaning» (Baby-geführte Entwöhnung) angewandt, welche die englische Hebamme und Stillberaterin Gill Rapley entwickelte. Wenn das Kind sitzen kann und es neugierig und bereit für feste Nahrung ist, bekommt es am Familientisch kindgerecht angebotene feste Nahrung wie zum Beispiel in Stäbchen geschnittene Gurken oder gedünstete Gemüsesticks zum Kennenlernen. Dieser Ansatz ermöglicht dem Kind, über die Lebensmittel die Umwelt zu erfahren und herauszufinden, was Lebensmittel zu bieten haben. Sie lernen neben dem Geschmack die Textur, Farbe, Größe und Form kennen. So erkundet das Kind von Anfang an, wie es ist, eine Erdbeere im Vergleich zu einer Möhre in der Hand zu halten und sie im Mund zu haben. Es begegnet den Lebensmitteln, wie sie in ihrer Gesamtheit sind und nicht nur in pürierter Form eines Breis. Mit einer sanften Einführung verschiedener Gemüse kann Neugierde geweckt und Freude am Essen entwickelt werden. Die Sinne des Kindes werden angeregt und damit wird die körperliche Entwicklung gefördert. Sind die Lebensmittel biologisch oder biodynamisch angebaut, begegnet es deren Authentizität und erfährt eine gewisse Wahrhaftigkeit, weil im Anbau auf die Balance von Masse- und Reifebildung geachtet wird. Auch die motorischen Fähigkeiten wie die Hand-Mund-Koordination wird bei dieser Methode gestärkt. Wichtig dabei ist, dass das Kind selbst entscheidet, in welchem Tempo es die Lebensmittel entdecken möchte. Auch hier gibt es die Feststellungen, dass Kinder, die schon früh selbst essen dürfen, eher ein breites Spektrum an Nahrungsmittel akzeptieren [5]. Durch gemeinsame Mahlzeiten oder auch durch einen bestimmten Mahlzeitenrhythmus lernt das Kind von Anfang an die Tischkultur seiner Familie kennen. Dies ist prägend für das eigene Essverhalten und unterstützt die Entwicklung einer gesunden Beziehung zum Essen und zu den Lebensmitteln. Die Begegnung mit Lebensmitteln kann als indirekte Begegnung mit der Welt verstanden werden und fördert die Resilienz. Mit der Beikost bekommt das Kind zum ersten Mal Nahrung, die im Gegensatz zur Muttermilch auf der Erde gewachsen ist, setzt sich mit ihr auseinander und bildet das Verdauungssystem, das Darmmikrobiom sowie das Immunsystem aus. Eine gesunde mikrobielle Besiedelung des Darms trägt dazu bei, dass Nahrung vertragen wird.
Trotz allen positiven Beobachtungen sollte ein Kind nicht überreizt werden. Eine gesunde Entwicklung braucht Ruhe, in der die Reize «verdaut» werden können. Liegt eine Unverträglichkeit oder Allergie vor, ist es kontraproduktiv, dem Kind etwas anzubieten, das es nicht verträgt und eine zu hohe Lebensmittelvielfalt kann den Organismus überfordern. Es gilt das Kind gut zu beobachten und die natürliche Neugierde zu unterstützen. Sanft sollte dem Kind die Gemüsewelt gezeigt werden, um die Freude daran zu wecken und gesundes Essen zur prägenden Erfahrung zu machen.
Literaturverzeichnis
[1] Kopp MV, Muche-Borowski C, Abou-Dakn M, Ahrens B, Beyer K, Blümchen K, Bubel P, Chaker A, Cremer M, Ensenauer R, Gerstlauer M, Gieler U, Hübner IM, Horak F, Klimek L, Koletzko BV, Koletzko S, Lau S, Lob-Corzilius T, Nemat K, Peters EMJ, Pizzulli A, Reese I, Rolinck-Werninghaus C, Rouw E, Schaub B, Schmidt S, Steiß JO, Striegel AK, Szépfalusi Z, Schlembach D, Spindler T, Taube C, Trendelenburg V, Treudler R, Umpfenbach U, Vogelberg C, Wagenmann M, Weißenborn A, Werfel T, Worm M, Sitter H, Hamelmann E (2022). “S3 guideline Allergy Prevention.” Allergol Select. 4;6:61–97. doi: 10.5414/ALX02303E. PMID: 35274076; PMCID: PMC8905073
[2] Maier AS, Chabanet C, Schaal B, Leathwood PD, Issanchou SN (2008). “Breastfeeding and experience with variety early in weaning increase infants’ acceptance of new foods for up to two months.” Clin Nutr. 27(6):849–57. doi: 10.1016/j.clnu.2008.08.002 PMID: 18838198
[3] Maier-Nöth A, Schaal B, Leathwood P, Issanchou S (2016). “The Lasting Influences of Early Food-Related Variety Experience: A Longitudinal Study of Vegetable Acceptance from 5 Months to 6 Years in Two Populations.” PLoS ONE 11(3): e0151356. doi:10.1371/journal.pone.0151356
[4] Schwingshackl L (2023). „Eine frühere Einführung allergener Lebensmittel im ersten Lebensjahr ist mit einem deutlich reduzierten Risiko für Lebensmittelallergien assoziiert. Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit“. Ernährungs Umschau; 70(6): M342–4
[5] Landeszentrum für Ernährung Baden-Württemberg (2021). “Baby led weaning – Fingerfood für Babys”
landeszentrum-bw.de/,Lde/Startseite/wissen/baby-led-weaning-fingerfood-fuer-babys
abgerufen am 28.08.2023